Freitag, 2. November 2007

"Ruhe ist das erste Bürgerrecht!" - wenn man nach den Entscheidungen Hamburger Gerichte geht

Hamburg ist für (bescheidene) deutsche Verhältnisse so etwas wie eine pulsierende Kultur-Metropole. Aber genau so, wie die Entscheidungen hamburgischer Gerichte zum Urheberrecht Zweifel am weltoffen-demokratischen Charakter der Freien und Hansestadt wecken, so wirken die Entscheidungen hamburgischer Gerichte in Sachen "Ruhestörungen" so, als kämen sie aus einem idyllischen Kurort mit wenig Verkehr und vielen ruhesuchenden Kurgästen.

Bundesweit bekannt ist der Fall um die Kindertagesstätte "Marienkäfer" im Hamburger Stadtteil Marienthal. Diese Kita musste umziehen, weil Nachbarn vor dem Hamburger Landgericht 2005 wegen Lärmbelästigung geklagt hatten und Recht bekamen - obwohl die Kita so nahe an der vierspurigen Rennbahnstraße liegt, dass der Gutachter nicht messtechnisch zwischen dem Lärm der Rennbahnstraße und dem der Kinder unterscheiden konnte.

Im Sommer 2008 zieht die Kita "Marienkäfer" in einen Neubau am Zikadenweg, etwa zwei Kilometer entfernt. Doch auch dort leben ruhebedürftige Nachbarn, die beim zuständigen Bezirksamt Wandsbek Beschwerden gegen den Bau der neuen Kita ein. Deshalb erhält die Kita eine Lärmschutzwand, wie sie etwa bei Autobahnen üblich ist. Sie wird gebaut, um die Ausnahmegenehmigung zu erhalten, die nötig ist, um in einem einem reinen Wohngebiet eine Kita bauen zu dürfen - auf die Anwohner muss Rücksicht genommen werden, selbst wenn ihre Ansprüche an die Ruhe übertrieben wirken.

Hierzu auf SPON: Zu laut: Kindergarten mit Lärmschutzwall>
Hamburger Abendblatt: "Herzlos!" Die strengen Auflagen für Kita Marienkäfer
Zum Urteil im Jahre 2005 - Hamburger Abendblatt: Kinder zu laut - Hamburger Kita muß schließen

Der "Fall Marienkäfer" hat einige Parallelen zum "Fall Unser Haus e. V." in Hamburg-Bergedorf, den ich auch aus eigener Anschauung kenne.

"Unser Haus“ e.V. ist ein selbstverwaltetes Jugend-, Freizeit- und Kulturzentrum, das als Träger der freien Jugendhilfe öffentlich anerkannt ist. Das Haus und der Verein sind darüber hinaus das Dach für weitere eigenständige Gruppen mit teilweise sehr unterschiedlichen Zielsetzungen, vom Tanzen bis zur antifaschistischen Aufklärungsarbeit. Über die Grenzen Bergedorfs und Hamburgs hinaus bekannt ist das "umsonst & draußen" Musik-Festival "Wutzrock", das von Mitgliedern von "Unser Haus" getragen wird.

Einige Nachbarn reichten eine zivilrechtliche Klage wegen Ruhestörung ein. Darin ist enthalten, dass diese Nachbarn vom Vorstand des Vereins verlangen, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Diese Unterzeichnung würde dazu führen das jeglicher Verstoß (Ruhestörung) mit bis zu 250.000 € geahndet wird. Da weder der Verein noch der Vorstand in der Lage ist im Zweifelsfalle diese Summe aufzubringen, wäre der Verein gezwungen sich aufzulösen.
Das Problem ist nicht neu, das Jugend- und Veranstaltungszentrum ist bereits Kompromisse eingegangen z. B. finden statt wie früher zwei, nur noch ein Konzert im Monat statt. Der normale Cafebetrieb dürfte von Anwohnern kaum zu hören sein, denn "Unser Haus" liegt an der viel befahren Wentorfer Straße (B 207). Außerdem gibt es in unmittelbarer Nähe ein viel besuchtes Schnellrestaurant.

Möglicherweise ist in diesem Fall das Ruhebedürfnis nur ein vorgeschobener Grund, denn "Unser Haus" gilt bei rechtskonservativen Bergedorfern nach wie vor als "linke Brutstätte" und "Hafenstraßen-Ableger", was sich aus der turbulenten Entstehungsgeschichte des Jugend- und Kulturzentrums erklären, aber kaum verstehen, lässt, denn inzwischen geniest "Unser Haus" e. V. weithin Respekt für gute Arbeit - bis in die Orts-CDU hinnein.

Lärmschutz ist etwas subjektives. So erhielt eine Gaststätte bei mir in der Nachbarschaft, die im Sommer in ihrem Biergarten Musiker auftreten lässt, nach den Beschwerden einzelner Anwohner strenge Auflagen. Ich gehöre zu den nächsten Nachbarn des Biergartens und fühle mich nicht durch den "Lärm" der üblicherweise am Samstagabend stattfinden Konzerte gestört - was übrigens auch für die meisten meiner Nachbarn gilt. Ich habe den Verdacht, dass es gar nicht um die Konzerte, sondern um die Gaststätte geht.

Lärmschutz ist wichtig. Aber in all diesen Fällen habe ich den Eindruck, dass der Lärm nur der Vorwand für andere, nicht justiziable, Motive ist. Und ich kann die Gerichtsurteile nur schwer nachvollziehen.

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