Freitag, 12. Oktober 2007

Kommen wir zu einem wirklich wichtigen Preis

Über die zahlreichen Diskussionen, ob Al Gore den Friedennobelpreis verdient hat oder nicht, geht die Verleihung eines wirklich wichtigen Preises unter. Ja, ja, ich bin auch der Ansicht, dass der Friedensnobelpreis für einen Klimaschützer, der bedenklich viel heiße Luft produziert, ein Fehlgriff ist. Aber angesichts solcher Klopse wie der Friedensnobelpreise für Henry Kissinger oder Jassir Arafat halte ich es für verfehlt, von einem "Skandal" oder einer "Schande" zu reden.

Heute wurden in Bielefeld die Gewinner des deutschen BigBrotherAwards bekanntgegeben.

Arbeitswelt:
Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie “Arbeitswelt” geht an die Novartis Pharma GmbH für die Bespitzelung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die damit verbundene Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte.

Behörden und Verwaltung:
Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie “Behörden und Verwaltung” geht an die Generalbundesanwältin Monika Harms. Sie erhält den BigBrotherAward für ihre Antiterror-Maßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels im Mai dieses Jahres, insbesondere für die systematischen Briefkontrollen in Hamburg und die Anordnung, bei Gipfelgegnern Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren.

Regional:
Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie “Regional” geht an die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch Alexandra Dinges-Dierig, Senatorin für Bildung und Sport, für die Einrichtung eines Schülerzentralregisters mit dem (Neben-) Zweck, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren.

Politik:
Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie “Politik” geht an den Bundesminister der Finanzen, Herrn Peer Steinbrück, für die Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland.

Kommunikation:
Bundesministerin Brigitte Zypries erhält den BigBrotherAward 2007 in der Kategorie “Kommunikation” für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Mit diesem Gesetzentwurf soll in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten eingeführt werden. Die Bundesinnenministeriun ignoriert damit bewusst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bereits 1983 im Volkszählungsurteil festgelegt hatte, dass die Sammlung von nicht anonymisierten Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.

Technik:
Der Big BrotherAward 2007 in der Kategorie “Technik” geht an PTV Planung Transport Verkehr AG für ihr System zur individuellen Berechnung der Kfz-Versicherung mittels eines so genannten “Pay as you drive”-Systems, also einem Gerät, das Fahrtroute und Fahrverhalten aufzeichnet und an die Versicherung meldet.

Wirtschaft:
Der BigBrotherAward 2007 geht an die Deutsche Bahn AG, da sie systematisch anonymes Reisen auf vielfältige Art und Weise unmöglich macht: Auflösen von Fahrkartenschaltern, Automaten ohne Bargeldannahme, personalisierter Kauf im Internet, Abfrage/Speicherung des Geburtsdatums und Zwangsabgabe eines Bildes bei Bahncards, flächendeckende Videoüberwachung und ein RFID-Chip in der Bahncard 100 ohne Kunden zu informieren.

Verbraucherschutz:
Internationale Hotelketten in Deutschland z.B. Hyatt, Mariott, Intercontinental etc. für die Erfassung und zentrale Speicherung äußerst persönlicher Daten ihrer Gäste ohne deren Wissen. Dazu gehören Trink- und Essgewohnheiten, Pay-TV-Nutzung, Allergien, alle privaten und beruflichen Kontaktadressen, Kreditkartendaten, Sonderwünsche und Beschwerden - alles wird festgehalten.

Außer Konkurrenz:
Kein BBA an Wolfgang Schäuble.

Warum Dr. Wolfgang "Seltsam" Schäuble dem Preis entging, geht aus diesem Ausschnitt aus der Laudatio hervor:
Viele werden sich die Frage stellen, warum denn ausgerechnet ein Traumkandidat für den BigBrotherAward diese Auszeichnung im Jahr 2007 nicht erhält. Manche werden von der Entscheidung der Jury enttäuscht sein, hätte er den Preis doch wie (k)ein anderer verdient – als fanatischer Triebtäter in Sachen „Sicherheit & Terror“, überqualifiziert wie seinerzeit nur sein Vorgänger im Amt, Otto Schily (SPD). Und in der Tat: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) versteht es wie kaum ein anderer, mit seiner Panikmache und Drohpolitik die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen – womit er einen klassischen Wesenszug des Terrors erfüllt; mit dem Ziel, Bevölkerung und Parlamentarier so lange weich zu klopfen, bis sie seine umstrittenen Pläne geradezu herbeisehnen und absegnen. Als „Gegenterrorist“ ist er mit seinen grundrechtssprengenden Denkanschlägen, die er fast täglich verübt, längst zum Gefährder von Demokratie, Menschenrechten und Datenschutz geworden – und damit reif für seine eigene Antiterrordatei, die wir im vorigen Jahr mit dem BigBrother- Award ausgezeichnet haben.

Und dennoch: Zum einen wäre es falsch, sich zu sehr auf Schäuble zu konzentrieren, ihn zu dämonisieren und die Terrordebatte auf diese Weise zu verengen. Denn „Schäuble“ ist nur eine Metapher für die verhängnisvolle Tendenz einer „Terrorismusbekämpfung“ auf Kosten der Bürgerrechte und für eine Systemveränderung zu Lasten des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Und zweitens haben wir die begründete Befürchtung, dass Schäuble die Verleihung des BigBrotherAwards als besonderen Ansporn verstehen könnte, seinen Sicherheitsextremismus noch zu verstärken, um seiner Vision vom präventiv-autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat näher zu kommen. Deshalb können wir eine Verleihung so lange nicht verantworten, bis Schäuble als „Verfassungsminister“ endlich über seine eigenen verfassungswidrigen Projekte stolpert und sich zum Rücktritt gezwungen sieht. Dann wäre womöglich an die Verleihung des BigBrother-Lifetime-Awards zu denken – wie ihn weiland Otto Schily im Jahr 2005 erhalten hat, nachdem er als Innenminister der rot-grünen Bundesregierung demissionieren musste.

Auf der anderen Seite müssen wir jedoch dankbar konstatieren, dass der Innenminister sich durchaus beachtliche Verdienste um das Datenschutzbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger erworben hat, die inzwischen zu Tausenden auf die Straße gehen, Internet-Demos organisieren und Massenbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht ankündigen, um sich gegen seine Horrorpläne zur Wehr zu setzen. Wegen dieser verdienstvollen, wenn auch unfreiwilligen Mobilisierung oppositioneller Kräfte ist ihm gar die Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) angetragen worden.
Mehr Infos auf BigBrotherAwards.de.

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