Der Verbrecher setzt die Norm
Elton John geriet vor kurzem wegen des angeblichen Besitzes von Kinderpornographie in die Schlagzeilen. Der Grund: eines der Fotos, das zusammen mit 149 weiteren Bildern im nordenglischen Gateshead ausgestellt werden sollte, wurde als möglicherweise kinderpornographisch beschlagnahmt - Wie schuldig ist der Betrachter? (FAZ online via Udos lawblog).
Das beschlagnahmte Foto von Nan Goldin, "Klara and Edda belly-dancing" zeigt zwei spielende Mädchen im Alter von etwa vier bis acht Jahren: Mit Wickeltüchern verkleidet, tanzt ein Mädchen im Stehen, das andere hat sich nackt auf den Boden gelegt.
Während die Vorwürfe an Elton John wohl dem Ressentiment gegenüber einem bekennenden Homosexuellen geschuldet sind, bleibt die Frage, ob die Fotografie zu recht aus der Ausstellung entfernt worden ist. Ich kenne das Foto aus einem Austellungskatalog und stimme dem von der FAZ zitierten Internet-Kommentator zu: Wer darin Kinderpornographie sieht, hat nicht alle Tassen im Schrank. Aber Julia Voss, die Autorin des Artikels, gibt zu bedenken:
Es ist so gut wie unmöglich, im "Internet" einfach so auf Kinderpornographie zu stoßen. (Zur aus mehreren Gründen problematischen Berichterstattung über dieses Thema schrieb ich in Moderne Hexenjagd,
Ich kriege das kalte Kotzen,
auch (unter anderem) Selbst-Bestimmungen.)
Es ist aber so, dass es im Internet auffällt, wenn jemand mit Suchanfragen wie "Kinder nackt" auf eine bestimmte Seite stößt - was für mich übrigens kein Grund wäre, so eine Seite zu entfernen, wenn ich genau weiß, dass die Seite auch bei strengen Maßstäben nicht kinderpornographisch ist - dafür, was sich im Kopf eines Pädosexuellen abspielt, kann ich nichts. Siehe das Beispiel mit den Versandhauskatalog. Wenn nun sehr oft nach "Klara and Edda belly-dancing" mit solchen Stichwörtern gesucht wird - macht dass das Foto zur Kinderpornographie?
Da hat Julia Voss leider recht: der Glauben, der unschuldige Betrachter sei der Normalfall, wurde durch das sichtbare "Nutzerverhalten" des Internets ausgehöhlt. Denn der "unschuldige Betrachter" fällt nicht auf. Der "Wichsvorlagensucher" hingegen schon.
Nach meiner Ansicht bestimmen Verbrecher ("Kinderschänder") das Bild, dass sich die Öffentlichkeit von "Pädophilen" macht, und die Vorstellungen darüber, was "Pädophilen" möglicherweise reizen könnte, bestimmen die moralische Norm.
Wobei ich diese Wahrnehmungsstruktur nur für die Rationalisierung einer tiefer liegenden Struktur halte: einer repressiven Sexualmoral (besonders repressiv übrigens in den sonst sehr freiheitlich gesonnenen USA), die Sex in den engen Rahmen des "Normalen" einsperren will. In Deutschland ist die Sexualmoral nicht ganz so repressiv - dafür ist hierzulande aber die Tradition der Angst und Angstmache besonders ausgeprägt.
Die angestrebten Gesetzesänderungen für den 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- (und neu) jugendpornographischer Schriften) und §182 StGB ("Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen") sehe ich, obwohl sich die Vorschläge eng an das US-Strafrecht anlehnt, nicht als Versuche, eine repressive Sexualmoral durchzusetzen, sondern als Ausdruck einer Kultur des Generalverdachts, der Angst, irgend einen der Übeltäter wegen "zu laxer" Gesetze "laufen lassen" zu müssen.
Ich befürchte, anders als das z. B. im ländlichen Süden der USA tatsächlich der Fall ist, nicht, dass reihenweise junge Liebespaare durch die verschärften Gesetze in Schwierigkeiten kommen werden. Aber ich fürchte eine quasi "inquisitorische" Umkehrung der Beweislast, z. B. dass jeder, der erotische Fotos macht, erotische Bilder malt oder eine erotische Geschichte schreibt, nicht nur beweisen können muss, dass seine Modelle / Figuren nicht nur nicht jünger als 18 sind, sondern auch dafür sorgen, dass sie nicht den Eindruck erwecken können, jünger als 18 zu sein. Kollisionen mit der "künstlerischen Freiheit" sind nahezu unvermeidlich. Das Einnehmen einer "aufreizenden" Stellung, z. B. durch Zeigen der Genitalien, kann nach der bisherigen Rechtsprechung bereits eine sexuelle Handlung sein. Womit z. B. Caravaggios Amor als Sieger ganz klar Kinderpornographie wäre. Und auch "Klara and Edda belly-dancing" könnte, bei "Null-Toleranz"-Auslegung, auch bei uns, wie offensichtlich in den U. K., als "kinderpornographisch" eingestuft werden. Der (mutmaßliche) Blickwinkel des "Pädophilen" bestimmt die Art und Weise, wie ein Kunstwerk gesehen werden muss.
Passen wir uns der konstant geförderten Furcht vor "Pädophilie" unreflektiert an, so fördern wir auch die Furcht davor, vielleicht selber als solche zu gelten. Sie nähren - aus Angst geborenen - vorauseilenden Gehorsam, und - obwohl das vielleicht gar nicht die Absicht ist - eine "verklemmte", ängstliche Sexualmoral.
Wie bei den "Anti-Terror-Gesetzen" sehe ich außerdem eine Tendenz zum Präventionsstrafrecht, die sich so umschreiben lässt:
"Wir wollen die Fahndung weiter perfektionieren, und müssen deshalb - verdachtsunabhängig - alle kontrollieren!"
Das beschlagnahmte Foto von Nan Goldin, "Klara and Edda belly-dancing" zeigt zwei spielende Mädchen im Alter von etwa vier bis acht Jahren: Mit Wickeltüchern verkleidet, tanzt ein Mädchen im Stehen, das andere hat sich nackt auf den Boden gelegt.
Während die Vorwürfe an Elton John wohl dem Ressentiment gegenüber einem bekennenden Homosexuellen geschuldet sind, bleibt die Frage, ob die Fotografie zu recht aus der Ausstellung entfernt worden ist. Ich kenne das Foto aus einem Austellungskatalog und stimme dem von der FAZ zitierten Internet-Kommentator zu: Wer darin Kinderpornographie sieht, hat nicht alle Tassen im Schrank. Aber Julia Voss, die Autorin des Artikels, gibt zu bedenken:
Ein Blick ins Internet zeigt, dass es eine überwältigende Zahl von Betrachtern gibt, die nicht alle Tassen im Schrank haben. Die in nackten Kindern nur eins sehen: Sexobjekte. Die Flut der im Netz verfügbaren Kinderpornographie hat den Glauben, der unschuldige Betrachter sei der Normalfall, ausgehöhlt.Leider verstellt Frau Voss dadurch, dass sie alarmistische Meldungen über die "Sündenhöhle Internet" ungeprüft übernimmt, den Blick auf das angesprochene Hauptproblem. Das Problem ist, dass ein Nicht-Pädophiler, für den ein Kind immer sexuell uninteressant ist, sich gar nicht in die Gefühlswelt eines Pädophilen (oder besser: Pädosexuellen) hineindenken kann, um beurteilen so können, was für ihn "sexuell erregend" ist und was nicht. Legt man, wie einige Gerichte in den USA, den Maßstab so an, dass alles, was für einen Pädosexuellen sexuell erregend sein könnte, als "kinderpornographisch" anzusehen ist, kommt man ins Schleudern, denn es gibt nachweislich Männer, die die Kindemodeseiten im Versandhauskatalog als "Wichsvorlage" verwenden.
Es ist so gut wie unmöglich, im "Internet" einfach so auf Kinderpornographie zu stoßen. (Zur aus mehreren Gründen problematischen Berichterstattung über dieses Thema schrieb ich in Moderne Hexenjagd,
Ich kriege das kalte Kotzen,
auch (unter anderem) Selbst-Bestimmungen.)
Es ist aber so, dass es im Internet auffällt, wenn jemand mit Suchanfragen wie "Kinder nackt" auf eine bestimmte Seite stößt - was für mich übrigens kein Grund wäre, so eine Seite zu entfernen, wenn ich genau weiß, dass die Seite auch bei strengen Maßstäben nicht kinderpornographisch ist - dafür, was sich im Kopf eines Pädosexuellen abspielt, kann ich nichts. Siehe das Beispiel mit den Versandhauskatalog. Wenn nun sehr oft nach "Klara and Edda belly-dancing" mit solchen Stichwörtern gesucht wird - macht dass das Foto zur Kinderpornographie?
Da hat Julia Voss leider recht: der Glauben, der unschuldige Betrachter sei der Normalfall, wurde durch das sichtbare "Nutzerverhalten" des Internets ausgehöhlt. Denn der "unschuldige Betrachter" fällt nicht auf. Der "Wichsvorlagensucher" hingegen schon.
Nach meiner Ansicht bestimmen Verbrecher ("Kinderschänder") das Bild, dass sich die Öffentlichkeit von "Pädophilen" macht, und die Vorstellungen darüber, was "Pädophilen" möglicherweise reizen könnte, bestimmen die moralische Norm.
Wobei ich diese Wahrnehmungsstruktur nur für die Rationalisierung einer tiefer liegenden Struktur halte: einer repressiven Sexualmoral (besonders repressiv übrigens in den sonst sehr freiheitlich gesonnenen USA), die Sex in den engen Rahmen des "Normalen" einsperren will. In Deutschland ist die Sexualmoral nicht ganz so repressiv - dafür ist hierzulande aber die Tradition der Angst und Angstmache besonders ausgeprägt.
Die angestrebten Gesetzesänderungen für den 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- (und neu) jugendpornographischer Schriften) und §182 StGB ("Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen") sehe ich, obwohl sich die Vorschläge eng an das US-Strafrecht anlehnt, nicht als Versuche, eine repressive Sexualmoral durchzusetzen, sondern als Ausdruck einer Kultur des Generalverdachts, der Angst, irgend einen der Übeltäter wegen "zu laxer" Gesetze "laufen lassen" zu müssen.
Ich befürchte, anders als das z. B. im ländlichen Süden der USA tatsächlich der Fall ist, nicht, dass reihenweise junge Liebespaare durch die verschärften Gesetze in Schwierigkeiten kommen werden. Aber ich fürchte eine quasi "inquisitorische" Umkehrung der Beweislast, z. B. dass jeder, der erotische Fotos macht, erotische Bilder malt oder eine erotische Geschichte schreibt, nicht nur beweisen können muss, dass seine Modelle / Figuren nicht nur nicht jünger als 18 sind, sondern auch dafür sorgen, dass sie nicht den Eindruck erwecken können, jünger als 18 zu sein. Kollisionen mit der "künstlerischen Freiheit" sind nahezu unvermeidlich. Das Einnehmen einer "aufreizenden" Stellung, z. B. durch Zeigen der Genitalien, kann nach der bisherigen Rechtsprechung bereits eine sexuelle Handlung sein. Womit z. B. Caravaggios Amor als Sieger ganz klar Kinderpornographie wäre. Und auch "Klara and Edda belly-dancing" könnte, bei "Null-Toleranz"-Auslegung, auch bei uns, wie offensichtlich in den U. K., als "kinderpornographisch" eingestuft werden. Der (mutmaßliche) Blickwinkel des "Pädophilen" bestimmt die Art und Weise, wie ein Kunstwerk gesehen werden muss.
Passen wir uns der konstant geförderten Furcht vor "Pädophilie" unreflektiert an, so fördern wir auch die Furcht davor, vielleicht selber als solche zu gelten. Sie nähren - aus Angst geborenen - vorauseilenden Gehorsam, und - obwohl das vielleicht gar nicht die Absicht ist - eine "verklemmte", ängstliche Sexualmoral.
Wie bei den "Anti-Terror-Gesetzen" sehe ich außerdem eine Tendenz zum Präventionsstrafrecht, die sich so umschreiben lässt:
"Wir wollen die Fahndung weiter perfektionieren, und müssen deshalb - verdachtsunabhängig - alle kontrollieren!"
MMarheinecke - Sonntag, 30. September 2007