Samstag, 21. Juli 2007

Ich bin "pro-westlich" - bin ich konservativ?

Ich gebe es zu: ich bin "pro westlich" eingestellt. Angeregt zu diesem Geständnis hat mich ein Kommentar auf dem Blog shifting reality zum Beitrag: What's left? Genauer: es ging um MomoRulez beiläufige Bemerkung: "Und Konservative setzen eh auf die Macht der Tradition … deshalb sind die ProWestler auch allesamt Konservative."
Nimmt man als Beispiel jene "ProWestler", die sich in Klein-Bloggersdorf unübersehbar selbst so nennen, und deren Haltung man grob mit "antiislamisch, pro-George W. Bush, anti-anti-semitisch, prokapitalistisch" umreiße, trifft das zweifellos zu. Wobei ich auch innerhalb der ProWestler differenziere, man kann die Ex-Linken aus dem Umfeld der "Freunde der offenen Gesellschaft" und die moslemfressenden "christlich-abendländisches" Stammtischkrieger auf "Politically Incorrect" nicht in jedem Fall gleichsetzen.

Unnötig zu sagen, dass ich mich nicht zu diesen "ProWestlern" zähle.

Ich weiß nicht, von wem die Aussage stammt, pro-westlich hieße: "pro-liberal, pro-universalistisch, pro-amerikanisch, pro-globalistisch, pro-monotheistisch". Vielleicht war es Hannes Stein. Bis auf den letzten Punkt - dem ich entschieden widerspreche - kann ich mich, angesichts der Bandbreite und Unschärfe der aufgeführten Eigenschaften, mit Fug und Recht "pro westlich" nennen. Allerdings gibt es Formen des Liberalismus, Universalismus, Globalismus, die ich entschieden ablehne. Und "pro amerikanisch" verstehe ich eher als Bekenntnis zu den Werten der US-amerikanischen Verfassung als zu den Werten, nach denen z. B. die derzeitige US-Regierung anscheinend handelt.

Im politisch-kulturellen Sinne versteht man unter dem "Westen" oder poetisch, dem "Abendland" hauptsächlich Westeuropa und Nordamerika, also jene Gebiete, die von Renaissance, Reformation, und Aufklärung, sowie verschiedenen Emanzipationsbewegungen und Revolutionen stark beeinflusst wurden. Daraus ergibt sich eine gewisse Unschärfe: Was ist mit Lateinamerika? Ist Russland Teil "des Westens"? (Die Antwort hängt davon ab, welchen Russen man fragt.) Inwieweit sind Japan, Südkorea, Taiwan "westlich"?

Das Problem mit den "ProWestlern" scheint mir darin zu liegen, was sie unter "dem Westen" und "westlichen Werten" verstehen. Eine weit verbreitete Grundannahme unter "prowestlichen" Bloggern ist die Vorstellung eines Kampfes der Zivilisationen, mehr oder weniger deutlich an Samuel Huntingtons berühmten Aufsatz angelehnt. Zivilisation, das definiert Huntington ganz banal, sei die größtmögliche Gruppe von Menschen, die durch eine gemeinsame Geschichte und vor allem Religion zusammengehalten wird. Die Interessen und Wertvorstellungen z. B. der islamischen oder der konfuzianischen Zivilisation sind, glaubt man Huntington, mit den westlichen vollkommen inkompatibel. Er glaubt z. B. dass der "westliche" Begriff des "freien Individuum" Zivilisationen, die weder Renaissance noch Aufklärung durchlebten, wesensfremd bleibt. (Also hätten die Islamisten recht: Menschenrechte und parlamentarische Demokratie sind nichts für Moslems! Und die Stammtisch-Rassisten hätten auch recht: Asiaten sind nun mal Kollektivmenschen, die sich willig für die Gemeinschaft aufopfern.)
Wer "den Westen" so oder ähnlich sieht, als "Meta-Leitkultur" der "Leitkulturen" der westlichen Nationen, "sittenchristlich" und mit der europäischen Geschichte verwachsen, der ist notwendigerweise konservativ - "verbindende westliche Werte" sind in dieser Weltsicht nämlich gemeinsame Traditionen, auf die man sich "zurückbesinnt".

Es gilt auch umgekehrt: In der bis weit in die "Linken" hinein gesellschaftlich konservativen Bundesrepublik Deutschland ist der Ruf nach "Leitkultur" besonders stark. Wobei "konservativ" bei vielen "Leitkultur"-Fans noch untertrieben ist. Der Ruf nach einer "Leitkultur" zeugt auch davon, wie mobilisierungsfähig der Wunsch nach vorgefertigten Leitbildern, nach "weltanschaulichen Leitllinien" in Deutschland noch ist. Egal, ob ein christlicher oder ein sozialistischer oder gar ein nationaler Kanon moralischer Leitbilder gefordert wird - gemeinsam ist den Freunden der Leitkultur die Angst vor der offenen Gesellschaft ohne vorgeschriebene Werte und festgefügte Identitäten.

Wenn "der Westen" aber keine Traditionsgemeinschaft ("christliches Abendland"), keine "übergeordnete Leitkultur" und auch kein geographischer oder geopolitischer Begriff ist, was ist er dann?

Kritiker "des Westen" haben insofern recht, das es keinen "unveränderlichen kulturellen Kern" des Westen gibt. Deshalb ist "die westliche Zivilisation" auch so "universaltauglich": auch Kulturen, die nicht in ihrem Sinne geprägt sind, können problemlos "westliche Errungenschaften" wie das demokratische Staatsmodell, die freie Presse, die unabhängige Justiz usw. aber auch Aktiengesellschaften, Hollywoodfilme, Supermärkte, Fast-Food-Restaurants und vieles mehr übernehmen. Das bedeutet allerdings nicht, dass "der Westen" keine verbindliche Werte kennen würde. Es sind allerdings neutrale Rechte: sie stehen jedem Menschen zu. (Oder sollten es jedenfalls.)
Zu diesen Werten zähle ich die universellen Menschenrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Gewaltenteilung, die Möglichkeit, eine schlechte Regierung ohne Gewaltanwendung- oder -drohung loswerden zu können. Diese Werte sind es, die den Westen ausmachen. Und jede Kultur, die diese neutralen Werte übernommen hat, gehört "zum Westen". (So gesehen gehört Japan zum "Westen", Indien ist bereits "westlicher" als Putins Russland - und die USA und in ihrem Gefolge andere westliche Staaten haben sich seit dem 9. September 2001 teilweise "entwestlicht".)
Die größte Errungenschaft der westlichen Zivilisation ist, als
Ergebnis zahlreicher geistiger und politische Revolutionen, dass sie sich sich immer wieder aufs Neue in Frage stellt. Wenn diese Fähigkeit der Selbstkritik und Selbstkontrolle im Zuge der Abwehr "fremder Kulturen" und im Bestreben nach "Einheit" verloren geht, dann hört der Westen auf, "der Westen" zu sein.

Die größte Bedrohung für "den Westen" ist nicht "der Islam". Und schon gar nicht "der Terrorismus". Die größte Gefahr für den Westen ist, sich selbst zu Tode zu "schützen".

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