Wo der Hammer hängt
Ich schätze den Evolutionsbiologen Richard Dawkins sehr. Jedenfalls gilt das für seine wissenschaftlichen Arbeiten. Richard Dawkings ist auch kämpferischer Atheist. Wahrscheinlich ist der kämpferische Atheist Dawkins inzwischen prominenter als der Biologe Dawkins, trotz der immer noch anhaltenden Kontroverse um das "egoistische Gen". (Nebenbei: einer der am häufigsten missverstandenen Begriffe der jüngeren Wissenschaftsgeschichte.)
Kämpferische Atheisten sind mir grundsätzlich nicht unsympathisch, jedenfalls sympathischer als alle religiösen Fundamentalisten. Einige entschiedene Atheisten waren oder sind radikale Aufklärer, andere waren oder sind Zweifler, wieder andere wortgewaltiger Zermalmer von Vorurteilen. Ihre Tradition reicht von Epikur über Diderot, Feuerbach, Marx, Nietzsche bis zu Sartre und Camus.
Dawkins passt allerdings, bei allem Rang als Wissenschaftler, nicht in diese illustre Reihe. Er passt auch nicht in die Reihe der scharfen, und scharfsinnigen Religionskritiker, zu denen ich z. B. Karlheinz Deschner zähle ("Kriminalgeschichte des Christentums") - denn selbst Deschners Gegner kommen an seiner enorme Rechercheleistung nicht vorbei. Tatsächlich bin ich etwas enttäuscht, dass Dawkins mit dem
"Deschner-Preis" der Giordano-Bruno-Stiftung geehrt wurde.
Dawkins fundamentaler Fehler ist, dass er auf "Augenhöhe" seiner Hauptgegner, der religiösen Fundamentalisten, bleibt. Was bedeutet, dass er weit unter seinen intellektuellen Möglichkeiten bleibt; man könnte polemisch sagen, im geistigen Tiefflug. Hierzu fand ich, via der Kommentare zu einem ebenfalls lesenswerten Beitrag Raysons Gretchenfrage, persönlich beantwortet - bei ChristianK einen guten Verriss der Fernsehreihe "The Root of All Evil, in der Dawkins seinem aufklärerischen Anspruch nicht so recht gerecht wurde - Bier über Glauben — Richard Dawkins hoffnungsloser Versuch gegen Religion zu argumentieren.
In der Reihe "Die neuen Atheisten" auf hpd-online
erschien ein Aufsatz von Dawkins, in der er sich mit einer spirituellen, nun ja Tradition ("Religion" trift es nicht genau) beschäftigt, der auch ich angehöre. Hoffen wir, dass der Trend anhält. Und es geht dabei um das wichtigste Werkzeug, Attribut und Symbol eines wichtigen Gottes dieser "Tradition": um Thors Hammer.
Anhand dieses Hammers lässt sich zeigen, dass Dawkins den selben Fehler macht, der seinen fundamentalistischen Widersacher - von einer aufgeklärt-kritischen Position her - so angreifbar macht.
Aber weiter mit Dawkins:
Er verwechseln einen der Mythen um Thors Hammer mit einer (vor-)wissenschaftlichen Theorie. Etwa im dem Sinne, wie das heliozentrische Weltbild eines Galileis oder Keplers das als unzutreffend erkannte geozentrische Weltbild eines Ptolemäus ablöste. In der germanischen Mythologie gibt es den Weltenbaum Yggdrasil, der die neun Welten miteinander verbindet. Kein alter Germane wird dabei an einen "realweltlichen", normalen nur riesengroßen Baum, gedacht haben. Ebenso wenig, wie noch heute sibirische Schamanen über den Himmel, Erde und Unterwelt verbindenden Weltenbaum reisen, dabei real-weltlich an einem gigantischen Baum herumklettern - oder sich bei ihren Reisen überhaupt nennenswert von Fleck bewegen. Genauso wenig, wie ein normaler Christ sich "Christi Himmelfahrt" als einen fahrstuhlähnlichen Vorgang im dreidimensionalen Raum vorstellt. (Von besonders vernagelten Fundis vielleicht abgesehen ... auf diesem Gebiet halte ich inzwischen so ziemlich alles für möglich.)
Wenn ein katholischer Gynäkologe an die jungfräuliche Geburt glaubt, dann in aller Regel wohl nicht in dem Sinne, dass er die jungfräuliche Geburt beim Menschen für eine gynäkologische Tatsache halten würde. Er glaubt an den Mythos "jungfräuliche Geburt". Ob so ein Mythos sinnvoll oder hilfreich ist, ist eine andere Frage. Mit den anatomischen Tatsachen kann er ebenso wenig kollidieren, wie der Weltenbaum mit der Geographie.
Anderes Beispiel: die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist ein lehrreicher Mythos der Bibel - man erfährt aus ihm sehr viel über menschliche Vermessenheit, und auch etwas über die Gründe, an denen menschliche Vorhaben scheitern. Ein Fundamentalist, der wirklich glaubt, die alten Babylonier hätten mit ihrer Ziggurat den Himmel erreichen wollen, oder die Vielfalt der menschlichen Sprachen aus der "babylonischen Sprachverwirrung" zu erklären versucht, verwechselt die Kategorien - und tut dem Mythos Gewalt an.
Kämpferische Atheisten sind mir grundsätzlich nicht unsympathisch, jedenfalls sympathischer als alle religiösen Fundamentalisten. Einige entschiedene Atheisten waren oder sind radikale Aufklärer, andere waren oder sind Zweifler, wieder andere wortgewaltiger Zermalmer von Vorurteilen. Ihre Tradition reicht von Epikur über Diderot, Feuerbach, Marx, Nietzsche bis zu Sartre und Camus.
Dawkins passt allerdings, bei allem Rang als Wissenschaftler, nicht in diese illustre Reihe. Er passt auch nicht in die Reihe der scharfen, und scharfsinnigen Religionskritiker, zu denen ich z. B. Karlheinz Deschner zähle ("Kriminalgeschichte des Christentums") - denn selbst Deschners Gegner kommen an seiner enorme Rechercheleistung nicht vorbei. Tatsächlich bin ich etwas enttäuscht, dass Dawkins mit dem
"Deschner-Preis" der Giordano-Bruno-Stiftung geehrt wurde.
Dawkins fundamentaler Fehler ist, dass er auf "Augenhöhe" seiner Hauptgegner, der religiösen Fundamentalisten, bleibt. Was bedeutet, dass er weit unter seinen intellektuellen Möglichkeiten bleibt; man könnte polemisch sagen, im geistigen Tiefflug. Hierzu fand ich, via der Kommentare zu einem ebenfalls lesenswerten Beitrag Raysons Gretchenfrage, persönlich beantwortet - bei ChristianK einen guten Verriss der Fernsehreihe "The Root of All Evil, in der Dawkins seinem aufklärerischen Anspruch nicht so recht gerecht wurde - Bier über Glauben — Richard Dawkins hoffnungsloser Versuch gegen Religion zu argumentieren.
In der Reihe "Die neuen Atheisten" auf hpd-online
erschien ein Aufsatz von Dawkins, in der er sich mit einer spirituellen, nun ja Tradition ("Religion" trift es nicht genau) beschäftigt, der auch ich angehöre. Hoffen wir, dass der Trend anhält. Und es geht dabei um das wichtigste Werkzeug, Attribut und Symbol eines wichtigen Gottes dieser "Tradition": um Thors Hammer.
Anhand dieses Hammers lässt sich zeigen, dass Dawkins den selben Fehler macht, der seinen fundamentalistischen Widersacher - von einer aufgeklärt-kritischen Position her - so angreifbar macht.
Heutzutage ist es für uns selbstverständlich, Atheisten zu sein in Bezug auf Thor und Wotan, Zeus und Poseidon, Mithras und Ammon Ra. Wenn man Sie fragt, warum Sie nicht an Thors Hammer glauben, dann würden Sie wahrscheinlich so etwas sagen wie: "Warum ist es an mir, meinen Nicht-Glauben an Thor zu rechtfertigen, wenn man bedenkt, dass es nicht den allerkleinsten guten Grund dafür gibt, an ihn zu glauben?"An dieser Stelle gebe ich zu, dass ich in Bezug auf Thor und Wotan, Zeus und Poseidon, Mithras und Ammon Ra kein Atheist bin. Und es gibt gute Gründe für mich, mit diesen und anderen Göttern zu sprechen (es gibt kein besseres Wort dafür, "verehren" trifft es nicht genau). An Thors Hammer glaube ich übrigens nicht. Ich würde auch nicht sagen, dass ich an den elektrischen Strom glaube. Oder an die Schwerkraft. Unter anderem steht Thors Hammer Mjölnir für etwas; er ist ein kraftvolles Symbol, das abstrakte metaphysische Begriffe und wenig anschauliche Naturvorgänge buchstäblich handgreiflich macht. Unter Anderem steht er auch für "elektrische Energie". Auch wenn die alten Germanen noch keine Vorstellung von "elektrischer Energie" hatten, besaßen sie einen Mythos, der ihnen erlaubte, mit Erscheinungen wie Blitz und Donner umzugehen - und der sich, auf seine Art und Weise, in der Praxis bewährte. Heute stehen uns neben dem Mythos auch Philosophie und Wissenschaft zur Verfügung, aber ein Künstler oder Schriftsteller, der nicht mythisch zu denken versteht, hat es, vorsichtig gesagt, schwer. Nebenbei: auch das "Über-Ich", "Ich" und "Es" im Sinne Freuds sind Mythen - wenn man wissenschaftliche Maßstäbe anlegt. Diese Mythen "funktionieren" gut, beschreiben, auch wenn sie keine neurologisch fassbaren Gegenstücke im Gehirn haben, die seelischen Vorgänge auf praktisch brauchbare Art. So wie viele der alten Mythen heute noch "funktionieren". Die Übergänge zwischen Metapher, Gleichnis, Mythos und Gedankenexperiment sind fließend. Und so, wie es schiefe Metaphern und irreführende Gleichnisse gibt, so gibt es auch unbrauchbare Mythen.
Aber weiter mit Dawkins:
Sie könnten fortfahren und hinzufügen, dass Donner, der einmal Thors Hammer zugerechnet wurde, nun besser durch elektrische Ladungen in den Wolken erklärt werden kann. Während wir technisch betrachtet eine agnostische Position gegenüber diesen antiken Göttern einnehmen, sowie auch gegenüber Feen und Kobolden (diese kann man ebenfalls nicht widerlegen), glauben wir doch in der Praxis an keine von ihnen und fühlen uns nicht verpflichtet zu erklären warum.Hier wird Dawkins fundamentale Verwechslung deutlich, übrigens dieselbe Verwechslung, der auch die Fundamentalisten unterläuft:
Er verwechseln einen der Mythen um Thors Hammer mit einer (vor-)wissenschaftlichen Theorie. Etwa im dem Sinne, wie das heliozentrische Weltbild eines Galileis oder Keplers das als unzutreffend erkannte geozentrische Weltbild eines Ptolemäus ablöste. In der germanischen Mythologie gibt es den Weltenbaum Yggdrasil, der die neun Welten miteinander verbindet. Kein alter Germane wird dabei an einen "realweltlichen", normalen nur riesengroßen Baum, gedacht haben. Ebenso wenig, wie noch heute sibirische Schamanen über den Himmel, Erde und Unterwelt verbindenden Weltenbaum reisen, dabei real-weltlich an einem gigantischen Baum herumklettern - oder sich bei ihren Reisen überhaupt nennenswert von Fleck bewegen. Genauso wenig, wie ein normaler Christ sich "Christi Himmelfahrt" als einen fahrstuhlähnlichen Vorgang im dreidimensionalen Raum vorstellt. (Von besonders vernagelten Fundis vielleicht abgesehen ... auf diesem Gebiet halte ich inzwischen so ziemlich alles für möglich.)
Wenn ein katholischer Gynäkologe an die jungfräuliche Geburt glaubt, dann in aller Regel wohl nicht in dem Sinne, dass er die jungfräuliche Geburt beim Menschen für eine gynäkologische Tatsache halten würde. Er glaubt an den Mythos "jungfräuliche Geburt". Ob so ein Mythos sinnvoll oder hilfreich ist, ist eine andere Frage. Mit den anatomischen Tatsachen kann er ebenso wenig kollidieren, wie der Weltenbaum mit der Geographie.
Anderes Beispiel: die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist ein lehrreicher Mythos der Bibel - man erfährt aus ihm sehr viel über menschliche Vermessenheit, und auch etwas über die Gründe, an denen menschliche Vorhaben scheitern. Ein Fundamentalist, der wirklich glaubt, die alten Babylonier hätten mit ihrer Ziggurat den Himmel erreichen wollen, oder die Vielfalt der menschlichen Sprachen aus der "babylonischen Sprachverwirrung" zu erklären versucht, verwechselt die Kategorien - und tut dem Mythos Gewalt an.
MMarheinecke - Freitag, 1. Juni 2007