Sonntag, 8. April 2007

Abwehrrechte

Heute ist - wie auch Nichtchristen durchaus bekannt ist - Ostern. Das höchste Fest der Christen.
Und wie jedes Jahr zu Ostern wird von ansonsten klugen Christen frommer Blödsinn verbreitet. Zum Beispiel von Eberhard Straub, Historiker, Kunstgeschichtler und Archäologe, im D-Radio Kultur: Woran heute noch glauben?.

Ich widerspreche ungern einem Fachmann auf seinem eigenen Gebiet, aber diese Aussagen aus der unteren Hälfte des Textes, da, wo er zur Sache kommt, reizen mich zum Widerspruch:
Erst seit dem Eintritt Christi in die Welt als Geschichte weiß der Mensch, dass er als Ebenbild Gottes zur Freiheit geboren und mit einer der göttlichen verwandten Würde ausgestattet ist.
Also, meines Wissens wußten - oder besser, glaubten - das auch schon die Juden vor Christus.
Ein skeptischer Liberaler wie Alexis de Tocqueville blieb sich stets bewusst, wie eng mit dem Aufkommen des Christentums die allmähliche Ausfaltung der Freiheit verbunden war, dass gerade Demokraten auf die Religion als fester Anker angewiesen sind, um nicht haltlos zu schwanken und ihrer eigenen sittlichen Grundlagen zu schwächen.
Mag sein, dass Tocqueville dieser Ansicht war. Historische Tatsache aber bleibt, dass die religiösen Freiheitsrechte Abwehrrechte des Bürgers gegenüber der Kirche sind, so wie andere Grundrechte, z. B. der Unverleztlichkeit der Wohnung, Abwehrrechte gegenüber den staatlichen Organen sind, und das die Aufklärung eine Gegenbewegung gegen "Glaubensgewissheiten" der Kirchen war. Gerade Demokratien sind darauf angewiesen, ihre sittlichen Grundlagen nicht an unhinterfragbaren Dogmen - Glaubenssätzen - zu verankern.
Eine Gesellschaft fröhlicher Heiden, die an den Jupiter Optimus Marxismus oder an Wotan und Fricka glauben, auf indische Gurus und bretonischen Druiden hört, Dämonen huldigt, sich mit edlen Steinen, Wurzeln oder Heilpflanzen erlöst, Geister beschwört oder vor dem Dalai Lama kniet, vermag sich kaum die öffentlichen Tugenden anzueignen, auf die nun einmal auch eine ganz weltlich gewordene Welt angewiesen ist.
Ich vermute sehr stark, dass der Dalai Lama - immerhin auch außerhalb des Buddhismus eine geachtete Autorität auf dem Gebiet öffentlicher Tugenden, da etwas anderer Ansicht sein dürfte. Außerdem nennt Straub da spirituelle und religiöse Richtungen in einem Atemzug, die herzlich wenig miteinander zu tun haben. Mir ist selbst unter leicht abgehobenen Esoterikern - ich kenne da einige - niemand bekannt, der sich mit edlen Steinen, Wurzeln oder Heilpflanzen erlöst. (Außer vielleicht vom Heuschnupfen?) Im Grunde spricht Straub da auf anderer religiös-ethischer Grundlage als dem Christentum aufgebauten Kulturen die Fähigkeit ab, einen Rechtsstaat aufzubauen.
Es führt kein Weg zurück, vor die Geschichte, vor das Christentum, dessen Spiritualität, Rationalität und Wissenschaftlichkeit den Weg zu deren Säkularisierung ebnete.
Wenn man das so ausdrückt, ist es noch nicht mal falsch - ohne das Christentum und seine überragende Machtstellung in der frühen Neuzeit wäre die Säkularisierung wohl nicht in diesem Ausmaß erfolgt. Hinsichtlich der "Rationalität" und "Wissenschaftlichkeit" des Christentums kann man auch ganz anderer Ansicht sein - auf diesen beiden Gebieten war das Christentum sowohl gegenüber dem Judentum wie der heidnische Antike eindeutig ein Rückschritt.
Eine konkurrierende civil religion um die neue Dreieinigkeit von Freihandel, Demokratie und Menschenwürde nähert sich totalitären Begehrlichkeiten, vor denen man Aufklärer immer wieder schützen muss.
Leider nennt Straub diese "totalitären Begehrlichkeiten" nicht beim Namen, so dass ich raten muß: Fürchtet Straub die liberale offene Gesellschaft, wegen ihres "Wertevakuums", wie so viele Konservative? Oder meint er einen angeblichen Aufklärungsfundamentismus, dem nichts heilig ist und der Religösität bestenfalls duldet, aber nicht respektiert? Warnt er vor "neoliberalem" Kapitalismus, Globalisierung, Machbarkeitswahn? Keine Ahnung - wüßte ich aber gern!
Mit Hilfe des Christentums, aber auch mit Hilfe des Islam. Statt in alter angelsächsischer Tradition Mohammedaner als Feinde des Menschengeschlechtes zu dämonisieren, wäre es angemessener, sich auf die erprobten, vernünftigen Gemeinsamkeiten zu besinnen.
Mal eine Frage an den Historiker: glaubt er wirklich das, was er das schreibt? Welche "alte angelsächsische Tradition" die "Mohammedaner" (er meint wohl Moslems, Mohammedaner ist für einen Moslem, wie ich hörte, geradezu eine Beleidigung) dämonisiert, meint er? Selbst die anti-arabische Politik des britischen Empire kam ohne Dämonisierungen des Islam aus. Wenn es da eine "Tradition" gibt, kann sie nicht sonderlich alt sein. Dämonisiert wird "der Islam" nach meinen Beobachtungen weniger in den USA (trotz christlich-fanatischer "religious right") als in Kontinental-Europa, wo der Teufel "Islamisierung Europas" an die Wand gemalt wird. Und die "erprobten, vernünftigen Gemeinsamkeiten? Die jahrhundertelange Tradition christlicher Judenfeindschaft meint er offensichtlich nicht, und welche erprobten Gemeinsamkeiten mit dem Islam er meinen könnte, bleibt leider wieder offen. Gemeinsame Abneigung gegen Juden und Heiden etwa?
Es waren Mohammedaner, die uns Aristoteles vermittelten.
Ja, ohne islamische Gelehrte und Kopisten wüßte das christliche Abenland wenig von Aristoteles und anderen heidnisch-antiken Denkern. Weil die christlichen Kopisten des frühen Mittelalters heidnische Denker so ungern kopierten. Da waren die mittelalterlichen Moslems doch deutlich bildungsfreundlicher und toleranter.
Es ist leichter, mit einem gläubigen Mohammedaner einen Rechtsstaat zu erhalten als mit Neu-Germanen, die an den Externsteinen zu Ostern Freyas Fruchtbarkeit huldigen.
Als Neu-Germane, der tatsächlich zu Ostara (Tagundnachtgleiche, Ostern ist später) Freya huldigte, erlaube ich mir, da anderer Ansicht zu sein. Es gibt demokratisch und rechtstaatlich gesonnene gläubige Moslems - und solche, die die Scharia über Demokratie und Rechtsstaat stellen. So wie es demokratisch und rechtsstaatlich gesonnene Neuheiden gibt - und Neonazis, die es wagen, sich "Asatru" zu nennen.

Als Gegengewicht einen deutlich vernünftigeren Aufsatz: „Europas christliche Wurzeln" - Von der kontinuierlichen Wirksamkeit eines Mythos.

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