Samstag, 24. Februar 2007

Der Namensprofessor und die karriereoptimierten germanischen Vornamen

Bisher hatte ich einigen Respekt vor Prof. Dr. Jürgen Udolph, Deutschlands einzigem Professor für Namenskunde. Bekannt wurde er als er nach zehnjähriger sprachwissenschaftlicher Forschungsarbeit in einem Buch die aufsehenerregende These veröffentlichte, wonach die Germanen ursprünglich aus Mitteldeutschland stammen und nicht aus Skandinavien. (Jürgen Udolph: Namenkundliche Studien zum Germanenproblem, Springer, Berlin - New York, 1994.)
Das es, wenn ich diese Theorie richtig verstehe, eher "germanische Lautverschiebung" als "Germanen" heißen müßte, sei nur am Rande erwähnt. Es gab z. B. keine Masseneinwanderung von Menschen aus dem heutigen mitteldeutschen Raum nach Südskandinavien, wo nachweislich schon zur Römerzeit germanische Sprachen sprechende Menschen wohnten, und es gibt dort keinen archäologisch nachweisbaren Bruch, der auf einen von außen angestoßenen kulturellen Wandel hinweisen könnte.
Udolph geht jedoch weiter: "Ich sage knallhart: Die These der germanischen Herkunft aus dem hohen Norden ist ein wissenschaftlicher Irrtum." Im Grunde sei sie eine Nazithese, die zu deren Rassenwahn vom blonden und blauäugigen Germanen passte. Eine Deutung, über die die skandinavischen Frühgeschichtler, die die Kultur der späteren Germanen mit guten Argumenten aus der Archäologie auf die "nordische Bronzezeit" zurückführen, nicht begeistert sein dürften. (Wobei die Bezeichnung "hoher Norden" für Südschweden, Dänemark und Schleswig-Holstein etwas gewagt ist. Udolph vermischt offensichtlich die etablierte Germanentheorie mit der Thule- bzw. Hyperboräa-"Lehre" der braunen Esoterik.)
Ich habe mich mal mit einer dänischen Archäologin unterhalten, die die Theorie der "mitteldeutschen" Herkunft der Germanen glattweg als typische Nazi-These abqualifizierte ...

Auch diverse Auftritte in Funk und Fernsehn, z. B. in der ZDF-Sendung "Deutschland - Deine Namen" beschädigten meinen Respekt vor Professor Udolph nicht. Selbst wenn er manchmal Dinge sagte, die die Verschwörungsparanoiker vom "bifff" (Berliner Institut für Faschismus-Forschung) dazu brachten, ihn ganz "rechts außen" einzuordnen: "Namensprofessor" Jürgen Udolph hält an Nazi-Ideologen fest: Ostern auf der Ordensburg.

Nun aber erschien ein Artikel in der "Welt", nach dessen Lektüre mein Respekt vor dem eloquenten Namensprofessor einige häßliche Dellen bekam: Mandy, Sindy und Ricco haben schlechte Karten".
Sicher ist es gut, wenn sich Eltern einige Gedanken darüber machen, was sie eventuell ihren Kindern mit ihrer Namenswahl antun. Wenn man z. B. Grube heißt, ist es keine gute Idee, die Tochter "Claire" zu nennen. Was leider wirklich vorkommt. Was die inflationäre Verwendung von Modenamen angeht, bin ich durchaus einer Meinung mit Udolph. Aber beim Gedanken, dass Eltern die Namen ihrer Sprößlinge nach Gesichtspunkten der beruflichen Karierre auswählen sollen, wird mir irgendwie anders:
Personalchefs wissen, dass die oberen Schichten kurzzeitige Moden scheuen und werden eine Mandy, Cindy oder einen Kevin instinktiv der mediengläubigen, bildungsfernen Unterschicht zuordnen – was ihnen als Bewerber für akademische Jobs Minuspunkte bringt. "Mandy Müller ist als Friseurin glaubhaft, als Anwältin oder Designerin dürfte sie es schwerer haben", sagt Prof. Jürgen Udolph, Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Namenskunde in Leipzig. "Namen sind wie Stammbücher, sie erzählen viel über Herkunft und soziales Umfeld."
Anders ausgedrückt: Udolph vermutet (wahrscheinlich zurecht) das Personalchefs oft nach "mutmaßlicher Schichtzugehörigkeit" filtern. Er vermutet ferner, dass sie sich dabei von ihren Vorurteilen leiten lassen - denn etwas anderes ist es nicht, wenn ein "Kevin" der "bildungsfernen Unterschicht" zugeordnet wird. Und er rät im Grunde dazu, sich in sehr persönlichen Dingen nach (schlechten) Personalchefs zu richten, die sich von solchen Vorurteilen leiten lassen. Abgesehen davon gibt es in jedem Vorstellungsgespräch so viele Faktoren, dass ein Name schon wirklich außergewöhnlich sein muß, wenn er überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Da überschätzt der gute Professor wohl die Bedeutung seines Fachgebietes.
Wohl auch hier überschätzt er sie - und,beabsichtigt oder nicht, nähert er sich völkisch-nationalistischen Vorstellungen an:
Für die Zukunft hält Udolph denn auch eine Rückbesinnung auf germanische Namen für möglich: "Genealogie ist nach Sex das zweithäufigste Suchwort im Internet. Mit steigendem Interesse an der Herkunft wächst auch das Bewusstsein für die eigene Geschichte. Wer etwa um die Bedeutung seines Familiennamens weiß, wird sich eher fragen, ob man diesen mit asiatischen, arabischen und afrikanischen Vornamen mischen sollte.
Wenn ich so etwas lesen, geht mir unwillkürlich: "Deutsche! Gebt Euren Kindern deutsche Namen!" durch den Kopf. Es kommt noch dicker:
Auch der Wunsch, den Kindern mit dem Namen eine Botschaft mitzugeben, spricht nach Ansicht des Leipziger Wissenschaftlers eher gegen ausländische und selbst biblische Idiome. Denn während deren Bedeutungsgehalt vor allem um Gott kreise, bezögen sich germanische Namen auf Allgemeineres wie Mut, Kraft, Durchsetzungsvermögen, Kampf, Freundschaft, Schutz, Weisheit, Ehre, Herrschaft und Heimat.
Ich halte grundsätzlich nicht viel davon, Kindern per Namen eine "Botschaft" auf den Lebensweg zu geben. Abgesehen davon, dass auch nicht-germanische Namen sich oft auf Mut, Kraft, Durchsetzungsvermögen, Kampf, Freundschaft, Schutz, Weisheit, Ehre, Herrschaft und Heimat beziehen. Und wo populäre biblische Namen wie David (Geliebter, Liebling), Jakob (Nachgeborener), Sarah (Fürstin) oder Eva (die Leben schenkende) um "Gott" kreisen, müßte mir der gute Professor erst einmal erklären.
Schließlich kombiniert er seine beiden fixen Ideen:
Udolph (...) hält es für möglich, dass man in einigen Jahren germanische Vornamen den verschiedenen Stämmen wie Sueben (Schwaben), Chatten (Hessen), Hermunduren (Thüringer) zuordnen kann. "Und da sich viele Familiennamen auf eine Region zurückführen lassen, könnten Eltern dann auch den passenden Vornamen wählen. Denkbar, dass soviel Geschichtsverständnis auf Personalleiter mehr Eindruck macht als krude Phantasienamen."
Übrigens: Udolphs Kinder heißen Susanne, Martin, Anja und Katja.

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