Freitag, 16. Februar 2007

Anthroposophische Medizin - "Netzwerkarbeit" statt Wirksamkeitsnachweis

An und für sich bin ich ein Anhänger naturheilkundlicher Heilverfahren und komplementärer Medizin. Aber nicht selten empfielt es sich sehr, so scharfen Kritikern der Naturheilkunde wie der GWUP Aufmerksamkeit zu schenken: GWUP Aktuell: Medikamente ohne Wirksamkeitsnachweis nicht auf Kosten der Allgemeinheit.

Es sieht nämlich ganz so aus, als ob die wachsende Anerkennung der Naturheilkunde (und unter ihr ganz besonders der Anthroposophischen Medizin) weniger auf dem Nachweis der Wirksamkeit als auf geschickter Netzwerk- und Lobbyarbeit zurückzuführen ist. Medikamente ohne Wirksamkeitsnachweis.
Besonders hervorgetan hat sich in dem Bemühen der offiziellen Anerkennung dieser so genannten "Naturheilverfahren" ein Hamburger Versicherungskaufmann, Thomas Martens, der 1984 die „SecurVita - Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH" gründete.
Die SecurVita ist extrem prozessfreudig - z. B. gegen die Zeitschrift "Öko-Test", die bemerkte, dass das alternativ-ökologischen Image nicht so ganz den Tatsachen entsprach. SecurVita betreibt u. A. eine eigene Krankenkasse, eine Investmentgesellschaft und ein Reiseunternehmen. Sie ist auch bestens "vernetzt", z. B. mit Greenpeace und dem BUND.

Mittlerweile tritt die SecurVita in einem Verbund mit Organisationen an, die zusammen rund 2,6 Millionen Mitglieder vertreten: B.A.U.M., Bioland, BUND, Demeter, Deutscher Hausfrauen-Bund, Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union, Deutscher Tierschutzbund, Deutsche Umwelthilfe, foodwatch, GLS-Gemeinschaftsbank, Germanwatch, Greenpeace Deutschland, Mehr Demokratie, NABU, Netzwerk Recherche, Transparency International Deutschland, WWF Deutschland und Zukunftsstiftung Landwirtschaft in der GLS Treuhand. Diese Organisationen genießen - meistens wohl zurecht - einen guten Ruf, von dem Securvita profitiert. (Ich sehe die SecurVita in der Position eines klassischen "Image-Abstaubers".)
Kritik an der SecurVita und dem deutlich Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der "alternativen Versicherung" ist selten, z. B. beim Infomarkt des SWR: Krankenkasse verzögert Behandlungszusage.

Aus meiner Sicht besonders interessant ist, dass SecurVita, GLS, Weleda, foodwatch, etc. zum Weltverständnis der Anthroposophen gehören. Also eine eindeutig "esoterische" Grundlange haben, und zwar eine, die wegen rassistischer und stramm autoritärer Ideologiebestandteile zurecht umstritten ist. Hervorzuheben ist z. B. die Wurzelrassenlehre, die nach wie vor in der antrophosophischen Lehre eine entscheidende Rolle spielt, obwohl heute die gröbsten Rassismen aus der Öffentlichkeit verschwunden sind.

Über Nachrichten wie "Anthroposophische Medizin jetzt auf IKK-Card" sollte man sich auch Freund naturheilkundlicher Verfahren nicht uneingeschränkt freuen. Weil z. B. das Modellprojekt der IKK Hamburg, das anscheinend eine "lang anhaltende Besserung" des Gesundheitszustandes der Patienten durch anthroposophische Methoden nachweist, wissenschaftlich-kritischen Ansprüchen nicht genügt. Statt dessen gibt es einen Binnenkonsens, in dem nicht unabhängige Gutachter prüfen, sondern gleich gesinnte Kollegen.
Ob die untersuchten Methoden wirklich helfen oder nicht bleibt leider zweifelhaft.

Allerdings kann ich die "Fundamentalkritik" der GWUP an unorthodoxer Heilmethoden nicht teilen. Längst nicht alle Studien, die für die Wirksamkeit z. B. eines so "unwissenschaftlichen" Verfahrens wie der Akupunktur sprechen, beruhen auf Binnenkonsens und Gefälligkeitsgutachten.

Und außerdem sind Hersteller, die "alternative" Medikamente fragwürdiger Wirksamkeit anbieten, auf dem Feld der Bereicherung auf Kosten der Gesundheit der Patienten "kleine Fische". Die "dicken Fische" sind "nicht alternative" Pharmaunternehmen, die mitunter tödliche Risiken und Nebenwirkungen ihrer nachweislich hochwirksamen Medikamente zugunsten "gesunder Geschäft"e verheimlichen: BooCompany - Eli Lilly: Für ein paar Milliarden Dollar mehr.

Keine einfache Wahrheiten

Statler (der von S & W) entdeckte in der "Sunday Times" einen interessanten Artikel zum Klimawandel: Werft Eure Winterjacken noch nicht weg, denn ...
Im Kern geht es um die schon längst bekannte Tatsache, dass es in der östlichen Antarktis in den letzten Jahrzehnten zunehmend kälter geworden ist. Statler leitet daraus eine "klimaskeptische" Polemik in Richtung Al Gore ab.
Allerdings ist das Klimasystem der Erde kompliziert und chaotisch. Zu kompliziert und chaotisch für einfache Wahrheiten. Egal, ob sie, wie bei Al Gore einfach "unbequem" oder, wie bei vielen "Klimaskeptikern" allzu einfach bequem sind. (Den Sonderfall "einfach gekauft" - von ExxonMobile, der Braunkohle-Lobby oder sonstigen Fossilien - behandele ich ausdrücklich nicht.)

Sehen wir uns mal eine Karte der Temperaturentwicklung auf der Erdoberfläche 1978 - 2003 an. Sie stammt aus dem Jahr 2004, nur als kleiner Hinweis darauf, dass die Erkenntnis aus dem Sunday Times Artikel nicht ganz neu ist. Die in dieser Karte dargestellten Trends haben sich auch nach 2003 fortgesetzt, d. h. die Darstellung ist nach wie vor gültig. Die Karte wurde anhand von Satellitenmessungen gewonnen und stimmt nach Angaben der Autoren völlig mit Beobachtungen von Wetterballons und den umfangreichen Bodenstationen in Regionen wie Nordamerika, Russland, Europa, China und Australien überein.

Temperaturentwicklung 1978 - 2003
Quelle: Quelle: Global Temperature Report 1978 - 2003

Wie man mühelos erkennt: in der Ost-Antarktis sind die Temperaturen tatsächlich erheblich gefallen (blau gekennzeichnet). Was man aber auch erkennt: den höchsten Temperaturanstieg gab es auf der genau antipodal liegenden Region, nämlich in der zentralen kanadischen Arktis (rot gekennzeichnet) - genau jene Region, in der die Eisbären schmelzen die Eisdecke im Winter dramatisch zurückging.
Im Beobachtungszeitraum stieg gemäß dieser Auswertung die Durchschnittstemperatur auf der Erde um durchschnittlich ca. 0,2 Grad an. Es gibt auch Studien, die zu einem höheren Anstieg kommen - dazu weiter unten mehr.
Die regionalen Unterschiede der Erwärmung bzw. Abkühlung ist sehr unterschiedlich, die "globale Erwärmung" findet hauptsächlich im nördlichsten Drittel unseres Planeten statt. In den Tropen gab es kaum Temperaturänderungen. Interessant auch die Unterschiede in der Antarktis selbst: in nördlichen Teil der Westantarktis kam es zu einer leichten Erwärmung. Allerdings dürften die dort beobachteten dramatischen Eisabbrüche nicht allein auf höhere Temperaturen, sondern auch auf Änderungen der Niederschlagsmengen, der Bewölkung, der Meeresströmungen und weiterer Faktoren zurückzuführen sein. Es ist eben nicht ganz einfach.

Dr. John Christy und Dr. Roy Spencer, die Autoren der der Karte zugrunde liegenden Studie, verteidigen "ihren" in Vergleich zu anderen Studien geringeren Temperaturanstieg damit, dass die Bodenstationen, auf deren Beobachtungen sich fast alle Studien zur Temperaturentwicklung stützen, sehr dünn auf der Erde verteilt liegen. Tatsächlich wird, laut Internetseite des GISS der NASA, aus nur ca. 2000 Messstationen der Welttemperaturtrend ermittelt. Riesige Gebiete der Ozeane, Regenwälder, Wüsten und Eisgebiete sind ohne Messstationen. Ihre Temperaturtrends werden also in Wirklichkeit nur geschätzt. Fehler sind also unvermeidlich. Die Satellitenmessungen stellen also einen Fortschritt dar - obwohl es auch bei Satellitenmessungen zu Fehlern kommen kann.
Problematisch sind meines Erachtens die "klimaskeptischen" Schlußfolgerungen Christys und Spencers. Es mag sein, dass die Temperaturänderungen m Großen und Ganzen innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite lagen, aber 25 Jahre sind ein recht kurzer Zeitraum, wenn es um Klimaentwicklungen geht - und man kann ihre Daten auch anders interpretieren. Sie stimmen gut mit einigen Klimamodellen überein, die schon lange die deutlichste Erwärmung vor allem in den nördlichen Polargebieten voraussagen
Es stimmt wohl leider auch, dass die Auswirkungen des Kyoto-Protokolls auf das zukünftige Klima gleich Null wären - was allerdings nicht bedeutet, dass es nicht sinnvoll wäre, so wenig fossile Energieträger wie möglich zu verbrennen.

In Einem hat Statler natürlich recht: der derzeitige warme Winter hat mit dem langfristigen Klimatrend so wenig zu tun, wie der letzte, kalte und schneereiche Winter. Von daher ist wenig sinnvoll, die Winterjacke im Vertrauen auf die Klimaerwärmung wegzuwerfen.

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