Dienstag, 14. November 2006

"Anti-Grav" bald technisch machbar?

Wohl eher nicht, obwohl österreichische Physiker einen exotischen relativistischen Effekt entdeckten, der zumindest die aus Science Fiction-Raumschiffen bekannte "künstliche Schwerkraft" etwas mehr aus dem Bereich "Fiction" hin zur "Science" verschiebt. wissenschaft.de: Die Anziehungskraft von rotierenden Supraleitern.

Im gut bewährten Modell der psysikalischen Kräfte klaffte bisher eine ärgerlich Lücke: die Schwerkraft (Gravitation) passte nicht so recht hinein. Schon zu Einsteins Zeiten - und aufbauend auf seiner
Allgemeinen Relativitätstheorie (wikipedia: Relativitätstheorie) sagten einige Physiker den Gravitomagnetismus (analog zum Elektromagnetismus) voraus, in dem die Schwerkraft von massenlosen Teilchen, den Gravitonen, übertragen wird, ähnlich wie Photonen die elektromagnetische Strahlung übertragen.
Martin Tajmar und seinen Kollegen von der ARC Seibersdorf research GmbH in Österreich entdeckten im Experiment einen Effekt, in dem sich die Gravitonen bemerkbar machen – und zwar dadurch, dass sie in rotierenden Supraleitern eine Masse besitzen, berichtet das britische Wissenschaftsmagazin New Scientist.

Der Allgemeinen Relativtätstheorie zufolge verdreht ein massiver Körper, der sich dreht, zum Beispiel ein Planet oder ein Stern, aber auch jedes andere massive Objekt, die Raumzeit. Das klingt unheimlicher, als es ist, denn wenn sich ein geladener Körper in einem Magnetfeld dreht und damit einen elektrischen Strom erzeugt, passiert etwas ähnliches - daher auch der Name Gravitomagnetismus, obwohl die Kraft ansonsten nichts mit Magnetismus zu tun hat.

Eine elegante Theorie, mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass der Gravitomagnetismus bisher nicht beobachtet wurde, weil es so schwer zu beobachten ist. Der Einfluss des Gravitomagnetismus ist so klein, dass sich die Rotationsachsen von drei perfekt runden, kreiselnden Kugeln auf dem Nasa-Satelliten Gravity Probe B innerhalb eines Jahres lediglich um 42 Milli-Bogensekunden verschieben - eine Milli-Bogensekunde ist ein Tausendstel einer Bogensekunde, 60 Bogensekunden sind eine Bogenminute, 60 Bogenminuten ein Winkelgrad. Die Daten des Satelliten, der von 2003 bis 2005 zwei Jahre lang um die Erde kreiste, werden gerade ausgewertet.

Zu ihrer eigenen Überraschung konnte das Forscherteam um Tajmar den Effekt nun aber auf der Erde nachweisen, und zwar bei rotierenden Supraleitern. (wikipedia: Supraleiter) Noch größer ist die Überraschung, dass Gravitonen anscheinend - entgegen der Theorie - nicht wie Photonen masselos sind.

Die Kraft, die ein sich drehender, supraleitender Niob-Ring auf Beschleunigungsmesser ausübte, war nämlich um 17 Größenordnungen – also um den Faktor 10 hoch 17 – stärker als von der Relativitätstheorie vorhergesagt. Die Forscher führen dies darauf zurück, dass Gravitonen in Supraleitern nicht mehr masselos sind, sondern die unvorstellbar winzige Masse von 10 hoch -54 Kilogramm besitzen. Zum Vergleich: Ein Elektron wiegt 10 hoch -30 Kilogramm.
Bislang konnten die Forscher alle ihre theoretischen Überlegungen experimentell überprüfen, heißt es im "New Scientist". Insgesamt führten sie 250 Versuche mit unterschiedlichen Supraleitern sowie zusätzlichen und präziseren Sensoren durch, um mögliche Fehlerquellen auszuschließen.

Dennoch ist die Gemeinde der theoretischen Physiker skeptisch: "Sollte das Graviton eine Masse besitzen, müsste das Standardmodell der Teilchenphysik neu geschrieben werden", sagt etwa James Overduin von der Stanford University. Auch für die Kosmologie hätte diese Entdeckung weitreichende Konsequenzen - vom Alter des Universums bis zur Lebensdauer des Sonnensystems.

Ein anderer Grund zur Skepsis liegt darin, dass schon andere Forscher Anti-Gravitationseffekte in der Umgebung rotierender Supraleiter beobachtet haben wollen - und sind damit mangels Wiederholbarkeit der Experimente, oder weil "Dreckeffekte" z. B. durch Luftströmungen nicht sicher ausgeschlossen werden konnten, zu oft auf die Nase gefallen.
Robert L. Forward, Astrophysiker und Science Fiction Autor, hatte übrigens schon 1961 eine Antigrav-Maschine auf Grundlage des Gravomagnetismus zum Patent angemeldet. Nur konnte sie damals niemand bauen. Vielleicht wird sich das bald ändern, denn wenn das österreichische Teams Recht behält, könnte einige in der Science Fiction beschriebene Technologien Wirklichkeit werden.

Allerdings dürfte ein realer Antigrav auf Grundlage des Gravitomagnetismus, also ein Kraftfeld, das die Schwerkraft aufhebt, weniger eindrucksvoll sein, als viele seiner Gegenstücke in der SF. Selbst naturwissenschaftlich-technisch orientierte Science-Fiction-Autoren neigen dazu, einfach einen benötigten psysikalischen Effekt aus dem Handgelenk zu schütteln, wenn es die Handlung erfordert. Einige aus der SF bekannte Antigravs widersprechen zum Beispiel dem Energieerhaltungssatz und würden ein Pepetum Mobile ermöglichen. Z. B. so: mittels eines Antigrav-Generators wird ein großes Gewicht "negativ schwer" gemacht und schwebt wie ein Ballon in die Höhe. Dort angekommen, wird der Antigrav abgestellt und das Gewicht fällt zu Boden. Dabei verrichtet er Arbeit. Wenn der Antigrav zum Schweben nicht mehr Energie aufnimmt, als beim Fallen freigesetzt wird, wäre er ein Perpetuum Mobile erster Art. wikipedia: Perpetuum Mobile. Also dürfte ein Antigrav-Gleiter in energetischer Hinsicht keine Vorteile gegenüber z. B. Hubschraubern bieten. Gravitation ist eine sehr schwache Kraft, weshalb die Anwendungsmöglichkeiten eines realen Traktorstrahls im Vergleich zu eine simplen Seilwinde gering sein dürften - der Traktorstrahl wird wahrscheinlich Nischenanwendungen vorbehalten bleiben, bei denen man nicht auf die bewährte Drahtseil Low Tech zurückgreifen kann. Aus dem selben Grund ist die Leistungsfähigkeit eines "Gravitationsantriebs" gegenüber einer Rakete sehr begrenzt.
Dennoch würde die Gravitationskontrolle die Raumfahrt revolutionieren. Zum Beispiel durch die Erzeugung künstlicher Schwerkraft oder durch die auf die Besatzung wirkende Beschleunigungskräfte entgegen wirkende Andruck-Kompensatoren. Selbst bei unbemannten Raumschiffen wäre das nutzlich, wenn sie stoßempfindliche Instrumente, z. B. Teleskope, an Bord haben.
Auch Landemannöver würden mit Antigravunterstützung einfacher werden.

Nachtrag: Darstellung der Arbeit Dr. Martin Tajmars in populärwissenschaftlicher Form. Tajmars zeigt sich darin als Enthusiast, was die Möglichkeiten der Gravitationskontrolle angeht, aber skeptisch hinsichtlich angeblich erfolgreicher Antigrav-Experimente: Schwerelos auf der Erde
Website des ARC: Austrian Research Center.
Beischreibung des Experiments auf der ESA Website (auf englisch, Stand vom März 2006):Towards a new test of general relativity?
Beschreibung des Experiments von Dr. Tajmar (pdf):Experimental Detection of the Gravitomagnetic London Moment

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 7044 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren