Dienstag, 29. August 2006

"Recht geht vor Nächstenliebe"

Ein entlavender Satz eines sich christlich nennenden Politikers! (Er fiel zwar schon im Mai und erntete seinerzeit durchaus Widerspruch in der CDU, aber weil ihm neulich eine bezeichnendeVerwechslung unterlaufen ist, durchaus interessant.)

Friedbert Pflüger, Spitzenkandidat der CDU für die Wahlen zu Berliner Abgeordnetenhaus äußerte ihn im:Tagesspiegel.
Pflüger tritt dafür ein, dass eine immerhin seit 17 Jahren in Deutschland lebende türkische Familie abgeschoben werden soll, die übrigens, wie auch er einräumt, hervorragend integriert ist. Das Motiv hinter der buchstäblich gnadenlosen Anwendung der Gesetze: wieder einmal die Angst vor Mißbrauch.
Was wäre das Signal, wenn sich die dauernden Rechtsbrüche der Familie am Ende „auszahlen“ würden! Wie viele würden das nachahmen?
(Einige interessante Überlegungen zum Thema bei Sven.)

Iranischer Präsident setzte braune Schleimbombe ein

Für alle, die immer noch glauben, die Aussagen des Iranischen Präsidenten Ahmadinejad würden von den "westlichen Medien" "böswillig verzerrt" oder "fehlerhaft übersetzt" : Auf der offiziellen Website des Iranischen Staatspräsidenten kann man seit Kurzem jenen Brief lesen, den der iranische Staatspräsident an die deutsche Bundeskanzlerin geschrieben hat. http://president.ir/eng/ahmadinejad/cronicnews/1385/06/06/index-g.htm
(Übrigens gibt es dort auch die offiziellen englischen Übersetzungen der Reden Ahmaninejads - für alle, die immer noch glauben, er sei doch gar nicht aggressiv und schon gar kein Antisemit, das sei doch alles nur "hineininterpretiert".)
Es fängt schon peinlich schleimig an:
"Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, seien Sie herzlich gegrüßt!

Ich hätte diesen Brief nicht geschrieben, wenn Deutschland nicht der Mittelpunkt der großen Entwicklungen in Wissenschaft, Philosophie, Literatur, Kunst und Politik gewesen wäre und keine wichtige positive Rolle bei internationalen Interaktionen zur Förderung des Friedens gespielt hätte; wenn manche Weltmächte und bestimmte Gruppen ständig mit einem starken Willen das große Deutschland nicht als Verlierer und „Schuldner“ des Zweiten Weltkrieges dargestellt und es ständig erpresst hätten; wenn Sie nicht eine weltoffene Politikerin wären, die mit bitteren und guten Erfahrungen in zwei Gesellschaften mit unterschiedlichen Staatsformen, Normen, Sitten und Bräuchen an der Spitze Deutschlands steht mit Privilegien, die lediglich Frauen vorenthalten sind, wie z.B. einer stärkeren menschlichen Emotionalität mit Erscheinungsformen göttlicher Barmherzigkeit im Dienste des Volkes und mit gemeinsamer Verpflichtung aller Gläubigen Menschen zur Wahrung der Menschenwürde und -rechte mit der Überzeugung, dass wir alle die Ergebenen des erhabenen Gottes sind, der uns allen eine Würde geschenkt hat und kein Mensch höher und erhabener ist als der andere und unter keinem Vorwand eine Gesellschaft entrechtet, eingeschränkt, erniedrigt und beim Fortschritt verhindert werden darf; und schließlich wenn es die - zwar unterschiedliche - Niedergedrücktheit unserer Völker und unsere gemeinsame Verpflichtung zur Förderung der Gerechtigkeit als die wichtigste Grundlage zur Sicherung von Frieden, Sicherheit und Gleichheit der Menschen nicht gäbe.
(Ja, richtig, ein Satz! Na, vielleicht gelten Bandwurmsätze und plumpe Schmeicheleien im Persischen als "guter Stil".)
Von da ab hat der Brief verblüffende Ähnlichkeit mit NPD-Wahlkampfpropaganda, z. B. hier:
Die propagandistischen Bemühungen nach dem Zweiten Weltkrieg sind dermaßen umfassend gewesen, dass manche geglaubt haben, eine historische Schuld zu tragen und die Sünden ihrer Vorfahren über Generationen und auf unbestimmte Zeit entschädigen zu müssen. (...) Vor ungefähr 60 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Aber bis heute leiden die Welt und manche Länder noch unter den verheerenden Nachwirkungen des Krieges. Nach wie vor werden manche Länder von manch anderen gewaltorientierten Staaten und macht- und kriegsüchtigen Gruppen, die als Siegermächte auftreten, als besiegte Länder betrachtet und behandelt.

Die Erpressungen dauern an und niemend darf sie in Frage stellen. Die Menschen dürfen nicht einmal den Ursachen dieser Erpressungen nachgehen oder sich darüber Gedanken machen, weil ihnen in diesem Fall die Haftstrafe drohen würde. Wie lange noch soll die Erniedrigung des Volkes und die Erpressung andauern? 60 Jahre, ein Jahrhundert, 10 Jahrhunderte, bis wann? Es tut mir leid, daran erinnern zu müssen, dass heute die ständigen „Kläger“ des großen deutschen Volkes manche gewaltbesessene Länder und die Zionisten sind, die das Besatzungs-Regime durch Waffengewalt im Nahen Osten errichtet haben.
Nun ist wohl dem Letzten klar, wieso deutsche Neonazis so sehr von Ahmadinejad begeistert sind. Denn so etwas öffentlich zu sagen traut sich nicht mal dle NPD:
Verehrte Frau Bundeskanzlerin,
Ich habe nicht vor, der Frage des Holocausts auf den Grund zu gehen. Aber spricht das gegen die menschliche Vernunft, wenn man die Tatsache für möglich hält, dass manche Siegermächte des Zweiten Weltkrieges vorhatten, einen Vorwand zu schaffen, um damit das Volk des besiegten Landes dauernd zu erniedrigen, ihre Motivation und Vitalität zu schwächen und ihren Fortschritt und ihre verdiente Souverenität zu verhindern? Neben dem deutschen Volk sind auch die Völker im Nahen und Mittleren Osten und sogar die Menschheit durch die Thematisierung des Holocausts zu Schaden gekommen.
Angela Merkel hat den Brief nicht beantwortet (kein Wunder, mir hätten auch die Worte gefehlt). Sie wollte ihn ihn auch nicht öffentlich machen. Das kann ich verstehen, angesichts folgender Überlegung: Ich halte Ahmadinejad nicht für so weltfremd und dumm, dass er erwartet hätte, Frau Merkel würde ihm freudig zustimmen.
Der wahre Adressat des Briefes dürften aber die deutsche Öffentlichkeit sein (weshalb sonst hat er den Brief jetzt auf deutsch veröffentlicht). Offenbar glaubt Ahmadinejad, dass es in der deutschen Öffentlichkeit eine nicht unbeträchtliche Bereitschaft dazu gibt, die Welt und die Lage von Deutschland und Iran so zu sehen, wie er es in seinem Brief darstellt. Bei den deutsche Rechtsextremisten hat er damit wohl Recht, bei vielen Deutschen außerhalb der rechten Szene leider auch. Diese Sympathisanten könnten dann wiederum innenpolitisch Druck auf die Bundesregierung ausüben. Außerdem zielt der Brief offensichtlich auch nach innen - eine schroffe Ablehnung statt schlichtem Schweigen wäre eine Steilvorlage für die iranische Propaganda gewesen: da ist man so freundlich zu der deutschen Kanzlerin, und dieser anti-islamische und anti-iranische Schlampe beantwortet das mit einer Abfuhr. Eine weitere Überlegung, die gegen eine Veröffentlichung des Briefes spricht, sind die im Bereich "Nahostpolitik" besonders eifrigen Verschwörungstheoretiker, die den veröffentlichten Brief ohne Zweifel als plumpe anti-iranische Fälschung bezeichnet hätten.

Nun sind, dank Ahmadinejad, diese Überlegungen hinfällig geworden. Übrigens zeigt dieser Brief und zeigen auch die anderen Texte auf seiner Website, dass sich sein Standpunkt nicht auf "Islamismus" verkürzen läßt - klassische islamische Fundamentalisten argumentieren anders, auch wenn sie sich an "westliches" Publikum richten.

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