Das Erbe der Bauernkriege
Der größte Fehler in der deutschen Geschichte ist, daß die Bewegung des Bauernkriegs nicht durchgedrungen ist.Alexander von Humboldt
Vor kurzen besuchte ich die Mühlhausen in Thüringen. Eine Stadt, in der es zur Zeit des "großen Bauernkrieges" ein demokratisches Gemeinwesen gab - und von der aus der charismatische, hochintelligente, aber leider religiös verblendete, Volksführer, Revolutionär und Reformator Thomas Münzer 1556 ein Bauern- und Bürgerheer unter der Regenbogenflagge gegen die Truppen der Fürsten führte - das bei Frankenhausen regelrecht abgeschlachtet wurde. Die Folgen dieser Niederlage, der vielen Niederlagen im großen Bauernkrieg wie der zahlreichen Volkaufstände der beginnenden Neuzeit, sie reichen bis heute.
Fast vor meiner Haustür kann ich anhand alter Bauernhäuser, die es zum Glück in meiner Gegend noch gibt, zwei sehr unterschiedliche bäuerliche Kulturen unterscheiden. Da gibt es, im Lauenburgischen, in Ostholstein, in West-Mecklenburg, prachtvolle Herrenhäuser - manchmal richtige Schlössser - zu bewundern - und die ärmlichen Katen der Pächter und die noch ärmlicheren Gesindehäuser der Landarbeiter. Ganz anders das Bild in den Vier- und Marschlanden, überhaupt in der Marsch an der Unterelbe, wie auch an der Nordseeküste: hier bestimmen prachtvolle Bauernhöfe das Bild, Dokumente bäuerlichen Reichtums und Selbstbewußtseins.
"Reicher Böden, reiche Bauern" könnte die erste Schlußfolgerung sein. Allerdings: nicht überall in der Marsch sind die Böden fett, und der Bau und die Instandsetzung der zahlreichen Deiche und der vielen Entwässerungsgräben, -Siele, -Pumpen waren (und sind) aufwändig. Einer einziger Deichbruch kann den Erträge eines Jahres vernichten, eine schwere Sturmflut bedeutet Lebensgefahr. Landwirtschaft in der Marsch - das ist ständiger Kampf.
Der Kampf gegen den "blanken Hans" und die gemeinschaftlicher Arbeit an den Deichen und Sielen befähigten offensichtlich die Marschbauern sich gegen die Interessen landhungriger Feudalherren durchzusetzten - und verhinderten zugleich, dass ein reicher Großbauer sich zum Herrn über andere, zum Feudalherren entwickelte.
Auch wenn z. B. die Dithmarscher Bauernrepublik, das prominenteste Beispiel bäuerlichen Freiheitswillens, nach jahrhundertenlangen erfolgreichen Kämpfen, 1559 den dänisch-schleswig-holsteinischen Truppen unter dem Feldherrn Johann Rantzau doch noch unterlag - die Dithmarscher konnte sich einige Privilegien sichern. Norder- und Süderdithmarschen wurden "Landschaften" mit einer eigenen Landschaftsordnung und einem Landvogt bzw. Statthalter an der Spitze. Dieser war nicht nur der Obrigkeit, sondern auch den "Kirchspielsleuten" - also dem Volk - verpflichtet. Das Grundeigentum der eingesessenen Bauern bliebt, zumindest teilweise, erhalten.
In gewisser Hinsicht haben die Marschbauern in "ihren" Bauernkriegen zumindest nicht alles verloren. (Auch wenn die Geschichte nicht überall so kriegerisch verlief wie in Dithmarschen.)
Nur in wenigen Landstrichen Deutschlands, z. B. in Westfahlen, gab es nach dem 16. Jahrhundert überhaupt noch "freien Bauern".
Die ökonomische Folgen der totalen Niederlage wahren schlimm, schlimmer aber war, denke ich, die bis heute nachwirkende Deformation der deutschen Mentalität. Das Rechtsbewußtsein wurde zerstört - bei den Mächtigen wie bei den Ohnmächtigen. Den geschlagenen Revolutionären blieb nur die Flucht in die Demutshaltung. Damals entstand - unter Mithilfe der Kirchen, auch der anfangs revolutionär gewesenen lutheranischen Kirche - der deutsche Untertan, der bereit war, das Unerträgliche hinzunehmen und nicht mehr Sinn unverständlicher Anordnungen zu fragen. Der deutsche Untertan gewöhnte sich daran, gedemütigt zu werden, vor seinem Herrn, aber auch vor fremden Herren. Sie lernten, ihre Ketten zu lieben. Der "typisch deutsche" Ehrgeiz beschränkte sich darauf, ein "großer Knecht" zu werden, jemand, der nicht nur getreten wird, sondern auch treten darf.
Hätten die Bauern die totale Niederlage abwenden könnten, vielleicht nicht militärisch, aber in der Sinne, dass ihr Selbstverständnis ungebrochen blieb, ein Widerspruchsgeist, der in den Nachbarländern des deutschen Sprachraums letzten Endes den Absolutismus beseitigte (oder zumindest, wie die Polen, nie die Demütigungen willig hinnahm)?
Ich bin der Ansicht, dass die deutschen Reformatoren, ein Luther, ein Sickingen, und - auf andere Weise - auch ein Müntzer politisch versagt haben. Die Reformation war ein Apell zum selber denken, die Wiederentdeckung der Erkenntnis, dass Religion gut ohne Priesterhierarchie, Dogmen, Inqusistion, kurz ohne "von Gott eingesetzte Obrigkeit" funktionierte. Mit einem Leitbild, einem gemeisamen, pragmatischen, ereichbaren Ziel (nicht etwa einer Utopie - Utopisten gab es in der Reformationszeit eher zu viele) wäre die Bewegung nicht in Ziellosigkeit und Maßlosigkeit erstickt. Die Marschbauern hatten politische Ziele, die Regenbogenkrieger Müntzers Visionen.
Luther wandte sich gegen die aufständischen Bauern. Er und Sikingen begriffen nicht, dass sie hätten das Volk anführen müssen. Und jene, die es versuchten, Bauern, Bürger, Ritter, Landsknechte, Schankwirte (erstaunlich oft!), die brachten oft die Gaben, auch Bildung und Charisma mit, aber sie blieben eingebunden in lokale Bedingungen, begrenzt von engen landschaftlichen Horizonten.
Ideale Bedingungen für machthungrige Territorialfürsten.
MMarheinecke - Sonntag, 27. August 2006