Montag, 17. Juli 2006

Summertime Blues

Ich liebe den Hochsommer nicht - sehr im Gegensatz zum Frühsommer, der dieses Jahr - trotz (oder wegen?) der FiFaFussball-WM - eine überaus angenehme Zeit war. Es ist, als wären alle angenehmen Seiten des Sommers mit dem Ende der großen Party weggezogen und hätte eine Ödnis aus schwüler Luft, trockenem Rasen, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen hinterlassen. Und ungeheurer Reizbarkeit. Meine Toleranzschwelle senkt sich so weit, dass sie mit einer empfindlichen Fingerspitze gerade noch ertastet werden könnte. Und irgendwie kommen nur noch schlechte Nachrichten und schlechte Musik im Radio. Tage wie eine warme, graue, feuchte Gummiwand. Klar, dass ich, kaum das ich den Rechner an haben, planloses Zeug absondere.
Und der blanke Horror im Hochsommer - Busfahren!
Letzte Woche, ein gewittrig-schwüler Tag, kurz nach 15 Uhr. Unterwegs aus der stickigen Innenstadt nach Hause. Der Bezug des Sitzes klebt an meiner Jeans, der muffige Geruch eines gut besetzten Stadtbusses klebt in meiner Nase: Diesel, vermischt mit altem Schweiß und vergossenem Bier. Die Gesichter der Menschen gleichen in ihrer Muffigkeit der abgestandenen Luft im dreckigen Bus. Graue Gesichter, grauer Himmel, graue Häuser, selbst die noch üppig grünen Bäume des Parks erscheinen staubig-grau. Eine dünne Wolkendecke wie oxidiertes Blei liegt über Hamburg. Der Bus hält an der vertrauten Haltestelle mit dem Wartehäuschen aus verkratztem und beschmiertem Glas. Ich steige aus. Feucht-warme Luft umfängt mich, drückend schwül, aber nach dem Mief im schlecht gelüfteten Bus („Fenster zu, es zieht!“) ein wahres Labsal.

Und nun ein "Klassiker", vor einigen Sommern ausgerotzt:
Schwermetall-Strand
Die Sonne sengte, ohne Gnaden, von einem Himmel in der Farbe geschmolzenen Bleis. Ihre Hitzestrahlen erreichten alle schweißnassen Winkel der Körper und kochten sie. Die Menschenmassen dämmten das Meer ein, hielten es durch ihre bloße Zahl vom Sand fern.
Sie schleppten sich den Strand entlang, mit ihren Matten und Taschen, dem Sonnenschirm, der Kühlbox - alles fühlte sich so an, als würde es sich unter ihren Händen in ein Schwermetall verwandeln, ein wirklich schweres Metall - Uran zum Beispiel.
Sie wollten sich nur auf dem Strand auszustrecken. Aber sie fanden keine Platz. Nun standen sie da, ein verlorenen Haufen, knöcheltief im schmuddeligen Sand, voller Abfälle, zurückgelassen von rücksichts- und sorgloser Strandbesuchern. Umgeben von kreischenden Bälgern und Teenagern, die sich zankten wie die Mitglieder einer Newsgroup oder eines belebten Online-Forums - leider nicht am Computer, sondern life und lautstark. Dazwischen Frauen, die ihre Körperfülle in Bikinis gequetscht hatten, die ihren magersüchtigen Töchtern passen könnten, und Männer, die haarige Bierbäuche in der Sonne krebsrot grillen ließen. Irgendwo kämpfte ein übersteuerter Ghetto-Blaster mit lautstarkem Heavy Metall die quäkenden Schnulzen, die aus einem altertümliche Kofferradio quollen, nieder, assistiert vom Proleten-Rap aus dem "Geiz ist geil, Qualität ist egal"-Sonderangebots CD-Spieler mit angeschlossenen Brüllwürfeln vom Grabbeltisch. Und die unvermeidlichen Bengel in Schlappershorts und Basecaps, die ihre schlechten Tattoos, ihre schlechte Haltung und ihr schlechtes Benehmen zur Schau stellten. Spannend, gaffend, spottend, primitive Macho-Witze reißend, Kippen rücksichtlos in den Sand fallen lassend.
Es gibt nichts Entspannenderes als einen Samstagnachmittag am Strand.

Es könnte aber auch anders sein. Meine ich mich erinnern zu können. Blauer Himmel über einem breiten Strand, zwischen hohen Dünen und der Brandung des Meeres. Sauberer, weicher Sand, kühles klares Wasser, erfrischende Brise. Keine plärrenden Radios, nur wenige Menschen. Freundliche Familien plantschen mit ihren Kindern nackt in den Wellen. Strandfußball, Federball, Volleyball. Kühle Apfelschorle und frischer Obstkuchen im Schatten bunter Sonnenschirme. Idyll.

Ich vermute, ein Fall von "False Memory Syndrome".

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