Samstag, 15. Juli 2006

Realist

Martin Walser ist nicht gerade mein Lieblingsschriftsteller. Aber er sieht zumindest die Situation des "Kulturschaffenden" am Markt realistisch:
Die finanzielle Unabhängigkeit ist für den deutschen Schriftsteller Martin Walser ("Ein fliehendes Pferd", "Tod eines Kritikers") der höchste Wert. "Letztlich bleiben nur Geld und die Vermehrung des Geldes, um unabhängig zu sein", sagte Walser der Zeitschrift "Wirtschaftswoche". Es brauche Zivilcourage für einen deutschen Intellektuellen, das einzusehen, fügte der 79-Jährige hinzu.
ngo-online:Martin Walser lobt die Kräfte des Marktes

Was immer man von Walser und seiner Liebe zum Kapitalismus halten mag: Seine Haltung dürfte ein guter Schutz vor Tyrannophilie sein.
Übrigens ist Walser damit gar nicht mal so weit von einem der wenigen wirklich brauchbaren Autoren-Handbücher entfernt:
Bjørn Jagnow: Marketing für Autoren

„Marketing ist die Ausrichtung von Angeboten auf die Anforderungen des Marktes. Geben Sie sich nicht damit zufrieden, ein hervorragendes Angebot zu haben. Sie müssen es auch kommunizieren.“ Zwischen dem Verkauf von „Kulturgütern“ wie Büchern und dem von Schuhen, Gummibärchen und Tupperware-Behältern besteht kein grundsätzlicher Unterschied.
Jagnow, als "Linken"/PDS-Mitglied, ist übrigens alles andere als ein glühender Anhänger des Kapitalimus. Aber er ist Realist. (Wie ich behaupten möchte, anders als die Mehrheit der "Linken"/PDS-ler.)

Tyrannophilie

ist eine weit verbreitete "Krankheit" bei Künstlern. Hitlers "Lieblingbildhauer" Arno Breker ist ein extremes Beispiel: er schleimte sich bei einem Diktator ein, dessen (miesen) Kunstgeschmack er nicht teilte, unterstürzte ein System, in dem andere Künstler aus irgendwelchen, meist völlig willkürlichen Gründen als "entartet" Berufsverbot erhielten, wenn sie "Glück" hatten - hatte sie keins, wanderte sie wgen ihres Schaffens ins KZ, wenn sie nicht rechtzeitig emigrieren konnten. Er wußte von der Judenverfolgung, von dem ungeheuerlichen Kunstraub der Nazi, von Sklavenarbeit - und kroch weiter dem Diktator in den Hintern, aus "niederen Beweggründen" - Geld, Ruhm, ein bißchen Macht. Und auch nach dem Ende der Nazizeit hängte er sich gern an die Reichen und Mächtigen an, und zwar nicht nur des Geldes wegen, denn für den "Kunstmarkt" produzierte er nicht gern, obwohl einige seiner Werke gut Preise erzielten.
Bloß nicht von irgendwelchen Kunstsammlern oder gar Spekulanten abhängig sein, dann lieber nach der Pfeife mächtiger "Gönner" tanzen! Bloß nicht einsehen wollen, dass auch ein Künstler letzten Endes Waren und Dienstleistungen produziert!
Das durch DDR-Sprachgebrauch leicht beschädigte Wort vom "Kulturschaffenden" trifft die wahre Situation ziemlich genau. "Kunst der Kunst wegen" bezahlt keine Rechnungen. Entweder ich bin bereit, meine Kunst öffentlich zum Verkauf anzubieten - oder meine "Seele", meine Integrität, dem Wohlwollen eines "Gönners" auszuliefern. (Es gibt dazwischen noch Einiges, vom Mäzenatentum bis zur öffentlichen Kulturförderung - was am grundsätzlichen Mechanismus nichts ändert.)

Noch mehr als materielle Güter ist der Applaus das Betäubungsmittel für Künstler und Intellektuelle. Der Diktator muß dem "Kulturschaffenden" schmeicheln, ihm das Gefühl geben, etwas "Besseres" als eben nur ein bloßer "Kulturschaffender" zu sein - dann ist die Kritikfähigkeit dieser berufsbedingt of maßlos eitlen "geistige Elite" zuverlässig choloroformiert.
Schlimmer wird es noch, wenn besagter Künstler - wie z. B. der von mir durchaus geschätzte Savador Dali - auch noch auch ideologischer Überzeugung Ungleichheit und autoritäre Herrschhaft befürwortet. Künstler halten sich gern für etwas Besseres als schnöde "Normalmenschen". Das macht sie anfällig für totalitäre Ideologien.

Noch deutlicher als bei bildenden Künstlern und Musikern wird diese Tyrannophilie bei Schriftstellern. Von Mussolini über Hitler bis Franco, von Stalin über Mao, Castro und Ho Chi Min, ja sogar Pol Pot und Saddam Hussein, ganz zu schweigen von Slobodan Miloschewitsch, Muhammar al Qaddafi, Kim il Sung - sie alle hatten oder haben eineN gewaltigen Fanclub aus an sich kritischen, an sich denkfähigen, an sich gebildeten Intellektuellen.
Sogar brilliante Philosophen wie Heidegger (packtierte mit den Nazis), Bloch (verteidigte lange Zeit den Stalinismus), Satre (fand Mao und Castro gut) oder selbst Foucault (schwärmte zeitweise für Ruhollah Chomeini) sind nicht von tyrannophilen Aussetzern sicher.

Gegen diese Masse an kollektiver Blindheit kann man die wenigen wirklich kritischen (das heißt immer auch: selbstkritischen) Künstler, Schriftsteller, Intellektuellen mit der Lupe suchen.

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