Samstag, 13. Mai 2006

Cäsium-137, Jod-131, Strontium-90, Lüge-86 - Teil 2

Teil 1
2. Die sowjetische (Des-)Informationspolitik
Erst als am 28. April , zwei Tage nach dem Unfall, als in Finnland und Schweden erhöhte Radioaktivität in der Luft und am Boden gemessen wurde, und die zu dieser Zeit herrschenden Windströmungen eindeutig auf einen Ursprung in Weißrußland oder der Ukraine hinwiesen, gab die UdSSR spät abends eine "Havarie" im Kernkraftwerk Tschernobyl bekannt. Tage später, auf erheblichen Druck aus dem Ausland, gaben die sowjetischen Behörden zu, dass es zu einer Explosion und einer Kernschmelze gekommen war, bei der große Mengen an radioaktiven Stoffen freigesetzt wurden. Auch in den folgenden Wochen lieferte die UdSSR nur sehr spärliche und lückenhafte Informationen über den Unfall, es galt das Prinzip, dass nur das zugegeben wurde, was nicht mehr zu leugnen war. Dass der Reaktorkern brannte und dass das Dach des Reaktorgebäudes beim Unfall weggerissen wurde, erfuhr die Weltöffentlichkeit zuerst durch westliche Satellitenfotos. Erst auf einer Konferenz änläßlich dieses Unfalls Ende August 1986, legte die sowjetische Seite umfangreiches Material über den Unfallhergang und den Reaktortyp vor.
Noch zwei Jahre lang versuchten die sowjetischen Behörden der eigenen Bevölkerung Informationen über die Strahlenbelastung vorzuenthalten. Die Informationssperre scheiterte, weil die offensichtlichen Widersprüche sich nicht länger leugnen ließen. Auf internationalen Konferenzen gaben sowjetische Wissenschaftler Daten über die radioaktive Belastung und ihre regionale Verteilung bekannt, über westliche Rundfunksender und persönliche Kontakte sickerte dieses Wissen in die UdSSR zurück. Die aufwendigen Reinungsmaßnahmen in besonders belasteten Gebieten ließen sich nicht verbergen, ebensowenig der Einsatz hundertausender Liquidatoren. Das strafte die offiziellen Beteuerungen Lüge, dass Informationen über die Kontaminations- und Dosiswerte nicht notwendig wären, da die Situation unter Kontrolle sei.
Noch wärend der Informationssperre erhielt die Bevölkerung erhielt die Bevölkerung in den höher belasteten Gebieten zusätzlich 30 Rubel im Monat als Ausgleich für die erhöhten Kosten der Nahrungsmittelbeschaffung, weil ja lokale landwirtschaftliche Produkte nicht mehr gegessen werden durfte. Auch die Umsiedlungen aus der 30-km-Zone konnte nicht verborgen bleiben.
Die Diskrepanz zwischen dieser im Volksmund bals "Sarggeld" genannten Zuwendung und den offiziellen Behauptungen, alle Probleme seinen gelöst war offensichtlich. Auch wurden über 250.000 Menschen umgesiedelt bzw. zwangsdeportiert - und anschließend "vergessen". Die zahlreichen Widersprüche führten zu öffentlichem Druck, der in der UdSSR der "Glastnost"-Periode nicht völlig unbeachtet blieb. Dennoch dauerte es zwei Jahre, bis zuerst in Weißrussland die Informationssperre aufgehoben wurde.

Das Chaos aus offiziellem Schweigen und Lügen, durchsickernden Informationbrocken und wild wuchernden Gerüchten verunsichtete nicht nur die Bevölkerung; es erschwerte auch gezielte Hilfe, machte sie sogar in einigen Fällen unmöglich. Es ist bezeichnend, dass es in den an die Ukraine angegrenzende Gebieten Polens bei weitem nicht zu einem vergleichbar dramatischen Anstieg der Schilddrüsenkrebsfälle gekommen ist, als in den benachbarten ukranischen Gebieten. Der Grund: in Polen wurden sofort nach der Katastrophe Jobtabletten verteilt, in der Ukraine nicht oder zu spät.
Als dann doch reichlich spät Informationen freigegeben wurden, hatte sich ein Klima des Mißtrauen und tiefer Verunsicherung entwickelt, dass den politischen Umbruch überdauerte und bis heute andauert. Die psychozialen Folgen sind verheerend. Möglicherweise verursachten die Angst vor der Strahlung, die Verzweiflung, die Depressionen und der nach "Tschernobyl" gradezu unglaublich angestiegene Alkoholmissbrauch in Weißrussland und der Ukraine mehr Schaden als die Strahlung selbst.

Nächster Teil: das deutsche Informationschaos

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