Hypnotische Trance und Psychotherapie - nur Psycho-Irrtümer?

Vor einigen Jahren sorgte der Medizinjournalist Rolf Degen mit seinem Lexikon der Psycho-Irrtümer mit zum Teil recht steilen Thesen für Aufsehen. Darin veriss er, in einem ziemlich polemischen Stil, psychotherapeutische Techniken, deren Wirksamkeit "nicht über jene von Aderlass, Geisterbeschwörung und Gesundbeten hinaus" reichen würde.
Ich muss zugeben, dass das Buch mich damals beeindruckte, obwohl ich erkannte, dass Degen zuwenig differenzierte und einen breiten Rundumschlag gegen die "Psycho-Szene" bis hin zu ihren esoterischen Rändern schrieb, bei dem auch mutmaßlich seriöse Ansätze der Polemik zum Opfer fielen.
Inzwischen sind einige Jahre vergangen, in denen es vor allem in der Neuropsychologie und Neurobiologie viele neue Erkenntnisse gab. Auch wenn nicht alle diese Erkenntnisse so spektakulär und allgemeingültig sein dürften, wie es in Pressemeldungen den Anschein hat, und die bildgebenden Verfahren der Hirnuntersuchung, vor allem der PET, wahrscheinlich überschätzt werden, lohnt es sich meiner Ansicht nach, einige der Thesen in Degens Buch noch einmal anzusehen.

Degen hinterfragte unter anderem die These, es gäbe veränderte Bewusstseinszustände, etwa während der Meditation und in hypnotischer Trance. Das gipfelte in der Aussage: "Es gibt, wissenschaftlich gesehen, keinen Unterschied zwischen Meditation und einem Mittagsschlaf."

Auch wenn ich es schon öfter erlebt habe, dass eine Meditation ungewollt und nahtlos in Schlaf überging, gibt es sehr wohl einen Unterschied zwischen Wachzustand, meditativer Versenkung und Schlaf. Schon damals fand ich Degens Aussage vor dem Hintergrund erstaunlich, dass ein Neurologe ohne weiteres am EEG erkennen kann, ob ein Patient gerade normal wach, konzentriert, tief entspannt oder eingeschlafen ist. Da die unterschiedlichen Formen der Meditation auf Konzentration oder auch auf tiefe Entspannung abzielen, nicht jedoch aufs Einschlafen, ist Degens Aussage, beim Wort genommen, unsinnig. Aus dem Kontext ergibt sich, dass Degen damit meinte, Meditation bewirke nichts anderes als Entspannung, was immerhin eine diskutable Ansicht ist.
Degen ging es im Meditations-Kapitel vor allem darum, vollmundige Versprechen aus der eher esoterischen Ecke, welche Wunderdinge dank Meditation möglich seinen, zu entlarven.

Zentraler Punkt seiner Argumentation gegen die Hypnose (genauer: die hypnotische Trance) als besonderer Bewußtseinszustand war, dass alle spektakulären Handlungen unter Hypnose ebenso im Wachzustand möglich seien. Dazu müssten drei Voraussetzungen erfüllt werden: 1. der Wunsch, dem Versuchsleiter/Hypnotiseur einen Gefallen zu tun, 2. die Überzeugung, dass die Handlung nicht gefährlich ist, und 3. die Überzeugung, dass die Verantwortung für die Konsequenzen beim Versuchsleiter/Hypnotiseur liegt. Ein besonderer Bewusstseinszustand sei nicht erforderlich. Die "Entrückten" seien in einem klaren Wachzustand und gäben lediglich eine theatralische Vorstellung, die ihren vorgefertigten Erwartungen an das Szenario entspräche.
Im Großen und Ganzen entspricht Degens Ausführung über Hypnose seinem Artikel Nur alltägliche Fähigkeiten hervorgelockt?, den er schon 1996 für die "Welt" schrieb.
Nun ist es so, dass die Anhänger der Hypnose versuchen, die wissenschaftliche Fundierung dieser Methode hervorzuheben, indem sie beispielsweise die therapeutische Hypnose oder die Hypnose asl Methode zur Schmerzbeeinflussung bewusst gegenüber der "Showhypnose" abgrenzen, die oft tatsächlich mit Täuschungseffekten arbeitet. Soweit ich Degen verstehe, hält er diese Rechtfertigung für nicht stichhaltig. Hypnotische Trance als besonderen Bewusstseinszustand gäbe es nicht, sie sei nur ein soziales Artefakt.
Degen konnte, als er sein Buch schrieb, natürlich noch nichts von den 2004 veröffentlichten Untersuchungen John Gruzeliers vom Imperial College in London wissen. Gruzellier zufolge hat Hypnose tatsächlich einen unmittelbaren und mittels Gehirnscan messbaren Effekt auf das Gehirn. Die Trance würde die Fähigkeit, künftige Aktionen zu planen, beeinflussen. Dies wirkte sich bei leicht hypnotisierbaren Menschen anders aus als bei Menschen, die resistenter gegen eine Hypnose seien. In Trance planlos - Wie Hypnose aufs Gehirn wirkt. 2005 kam ein amerikanisches Forschungsteam um Amir Reiz zu dem Ergebnis, dass Hypnose die Informationsverarbeitung im Gehirn so stark verändern könne, dass typische Wahrnehmungskonflikte nicht mehr aufträten. Der Effekt, der ausschließlich bei hypnoseempfindlichen Menschen auftrat, veränderte dabei deutlich die Gehirnaktivität, was mit der funktionellen Magnetresonanztomographie nachweisbar war. Wie Hypnose die Hirnfunktionen verändert. Seitdem 2007 israelische Forscher mit Hilfe von Hypnose jene Gehirnregionen identifizierten, die am Wiedererlangen der Erinnerung nach einem kurzzeitigen Verlust des Gedächtnisses beteiligt sind (Hypnotisierende Erkenntnisse), und 2008 eine britische Forschergruppe um Roi Cohen Kadosh nachwies, dass unter Hypnose eine Verknüpfung zwischen Zahlen und Farben suggeriert werden kann (eine Synästhesie), die auch noch nach der Hypnose anhalten kann, (Was Buchstaben farbig macht) sieht es ganz so aus, als ob die Hypothese, Hypnose sei nichts als ein soziales Artefakt, im Licht der Hirnforschung nicht mehr haltbar wäre.

Kommen wir zur Psychotherapie. Degen schien wenig von den "Redekuren" zu erwarten, und stellte ihnen die nachgewiesenen Effekte der Psychopharmazeutika gegenüber.
Wenn eine Psychotherapie wirkt, dann müsste sich diese Wirkung, genau so wie die von psychopharmazeutischen Medikamenten, im Hirnstoffwechsel niederschlagen.
In der Tat zeigte eine vom Psychiater Jakob Koch geleitete Studie an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, dass eine erfolgreiche Psychotherapie die Konzentration eines Transkriptionsfaktors im Gehirn erhöhte. Protein zeigt Behandlungserfolg an. Insgesamt 30 Patienten, die unter Depressionen, absolvierten sechs Wochen lang eine Interpersonelle Psychotherapie mit insgesamt 12 Gesprächssitzungen. Bei rund der Hälfte der Teilnehmer zeigte diese Kurzzeitbehandlung Wirkung: Die Schwere ihrer Depression, per Fragebogen ermittelt, ging deutlich zurück. Bereits eine Woche nach Therapiebeginn konnten die Forscher bei diesen Patienten eine erhöhte Konzentration an pCREB, der aktiven Form des Proteins, messen. Bei jenen Teilnehmern, die nicht auf die Behandlung ansprachen, fand sich dagegen kein solcher Anstieg.
Was zuvor schon für Antidepressiva bekannt war, trifft somit auch für die Psychotherapie zu: Eine erfolgreiche Behandlung führt zu mehr aktiviertem CREB.

Eine verzerrte Körperwahrnehmung ist Risiko- und aufrechterhaltender Faktor von Essstörungen wie Magersucht (Anorexie) und Ess-Brech-Sucht (Bulimie). Dr. Silja Vocks von der Ruhr-Universität Bochum bestätigte nicht nur, dass sich diese Verzerrung sich in den Hirnfunktionen widerspiegelt, sie konnte sogar nachweisen, dass durch Körperbildtherapie diese Hirnfunktionen verändert werden können. Therapie verändert das Gehirn - Neuropsychologische Grundlagen des gestörten Körperbildes bei Essstörungen

Das sagt selbstverständlich nichts darüber aus, welche Formen der Psychotherapie sinnvoll sind. Sicher gibt es auf diesen Gebiet Einiges an Scharlatanerie. Da Degen kaum differenzierte, welche Arten "der Psychotherapie" er in seiner Polemik aufs Korn nahm, ist sein markiger Vergleich zwischen Psychotherapie und "Aderlass, Geisterbeschwörung und Gesundbeten" wohl widerlegt.
Wolfgang Künzel (Gast) - 20. Jul, 18:44

Showhypnose

"indem sie beispielsweise die therapeutische Hypnose oder die Hypnose asl Methode zur Schmerzbeeinflussung bewusst gegenüber der "Showhypnose" abgrenzen, die oft tatsächlich mit Täuschungseffekten arbeitet."

Bitte? Showhypnose arbeitet mit Täuschungseffekten??? Nur weil jemand nicht weiss was Hypnose vermag, heisst es noch lange nicht das es Täuschung ist. Nur weil Akademiker Zeug als Hypnose verkaufen, was mit Hypnose nichts zu tun hat, heisst es nicht, dass es das nich gibt. Das ist extrem unwissenschaftlich!

MMarheinecke - 21. Jul, 15:39

Showhypnose

Es mag einen seriösen Hypnotiseur gegen die "Berufsehre" gehen, aber bei vielen Hypnoseshows wird tatsächlich getrickst - im harmlosen Fall mit Absprachen. Außerdem gibt es einige gern vorgeführte Effekte, wie die kataleptische Brücke, für die tatsächliche keine Hypnose erforderlich ist.

Der Klarheit halber:
Da ich um die Wirksamkeit der Hypnose weiß, halte ich es für einen medizinischen Skandal, dass Showhypnose-Vorführungen, sogar in einen so ungünstigen Setting wie Diskotheken, in Deutschland immer noch nicht verboten sind.

Zu Degen: ich hege den Verdacht, dass Degen, der übrigens Diplompsychologe ist, dem "Skeptiker-Syndrom" unterliegt. Damit meine ich, dass er sich so intensiv mit der Bekämpfung von Scharlatanerie und Geldschneiderei auf psychotherapeutischem Gebiet beschäftigt, dass er allem misstraut, das nicht "harten" medizinischen Kriterien standhält. (Zum Beispiel bemängelt er, dass Psychotherapie, anders als Psychopharmaka, nicht placebokontrolliert ist - die Frage bleibt: wie könnte eine Placebotherapie aussehen? ) Das ist auch der Grund, weshalb ich Beispiele aus der (harten, mit messbaren und reproduzierbaren Werten) arbeitenden Neuropsychologie verwende.

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