Montag, 11. April 2011

"Zusammenbruch"

Heute erfuhr ich, dass ein gute Freundin einen Nervenzusammenbruch - eine psychische Überlastungsreaktion erlitten hat. Das sagt sich leicht dahin, vielleicht, weil "Nervenzusammenbruch" und Burn-Out geradezu inflationär verwendet werden; so wie eine Depression etwas völlig anderes ist, als das Stimmungstief, das Menschen, die nicht wirklich wissen (oder nicht wissen wollen), als "Depris" bezeichnen.

Mir fällt auf, wie viele Menschen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis seit einiger Zeit psychische Schwierigkeiten haben. Es kann nicht daran liegen, dass sie alle "schlechte Nerven" hätten oder nicht wüssten, wie man Stress abbaut oder vermeidet. Wobei - der viel zitierte Stress ist, denke ich, eher Auslöser als Ursache.

Irgendwo las ich, dass Schüler, denen die zustehende Anerkennung für Geleistetes fehlt, Leistung verweigern und oft Autoaggressionen entwickeln. Typischerweise sind das Schüler mit über-ehrgeizigen Eltern, die alles außer absoluter Spitzenleistung nicht gelten lassen, aber auch Kinder mit, wie es so unschön heißt, bildungsfernem Hintergrund, deren Eltern viele schulische und außerschulische Leistungen nicht einschätzen können.
Das halte ich, anders als viele mehr oder weniger windige Studien über die Ursachen von schulischen Erfolg und Misserfolg, immerhin für plausibel.
Ich fürchte, wir leben in einer Gesellschaft, in der nicht nur im Beruf Zustände herrschen, wie sie ganz ähnlich an sich fleißige und aufmerksame Schüler, deren Leistungen nicht anerkannt werden, erleben. Nur die absolute Spitzenleistung zählt, schon der Zweite ist ein Verlierer.
Das wäre halb so schlimm, wenn es wirklich nach Leistung ginge. In der gesellschaftlichen Realität ist es aber so, dass viele Menschen aus den sogenannten Eliten eher Leistungsvortäuscher, Blender oder Hochstapler sind, und ihren gesellschaftlichen Status in Wirklichkeit ganz anderen Faktoren - etwa dem Umstand, in die "richtige" Familie geboren zu sein, oder dem, den "richtigen" Freundekreis zu haben - verdanken. Oder Fähigkeiten, die nichts mit beruflicher Leistung zu tun haben - etwa, der sich "gut zu verkaufen" oder auch einer ordentlichen Portion Rücksichtslosigkeit.
Schon in der Schule ist es so, dass diejenigen Kinder, die nicht zuhause oder spätestens in der Grundschule gelernt haben, sich auf Kosten Schwächerer zu profilieren und zu stabilisieren, es schwerer haben. Im Berufsleben ist das noch härter. Leistung alleine reicht nicht.
Dass es Arbeitslose besonders hart trifft, aber auch Menschen mit Krankheiten oder mit Behinderungen - das zu erwähnen, sollte eigentlich überflüssig sein. Aber oft bekommt, wer nicht zu den "Leistungsträgern" zählt, statt Anerkennung noch einen Tritt obendrein.

Die, die ich kenne und die "nervlich am Ende" sind, sind sowohl Menschen, die im Beruf viel leisten, wie solche, die keine Gelegenheit haben, anerkannte Leistung zu zeigen. Es sind Gesunde und gesundheitlich Angeschlagene darunter, gut und schlecht Bezahlte, Selbstständige und Lohnempfänger, akademische Gebildete und einfache Arbeiter. Aber alle haben zwei Dinge gemeinsam: sie sind nicht dumm, und sie sind nicht "etabliert", selbst wenn einige von ihnen überdurchschnittlich gut verdienen (die meisten sind aber eher arm als reich).

Es klingt abgedroschen, aber ich sehe in der "Krankheit" dieser Menschen ein Symptom für eine kranke Gesellschaft.

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