Donnerstag, 10. Mai 2007

Bandlöcher - Persönliche Nachträge zum Thema Bücherverbrennung

Zum 10 Mai machte ich mir ein paar Gedanken zum traurigen Thema Bücherverbrennung. Offensichtlich gehört es zu den Themen, die mir nicht aus dem Kopf gehen wollen. Denn die Meinungsfreiheit ist (wieder mal) gefährdet - durch massive Einschüchterungs-Aktionen - anders kann ich die "Sicherheitsoffensive" im Vorfeld des G8-Gipfel nicht bezeichen. "Null Toleranz gegen Chaoten und Gewalttäter" nennt das der Hamburger Innensenator Udo Nagel. Was nachvollziehbar wäre. Wenn nicht die Großrazzien gegen Einrichtungen (nicht nur) der linksautonome Szene unübersehbar den Charakter eines hysterischen Rundumschlags hätte. Da sind ängstliche Angstmacher am Werk. Es geht nicht um das Risiko terroristischer Anschläge und es geht nur ganz am Rande darum, dass die geplanten Proteste sich gegen den G8-Gipfel richten. Es geht um den Protest an sich.

"Meinungsfreiheit" - wie wenig es die in der "freien Presse" gibt, beleuchtete schrill die Affäre um "Welt am Sonntag" Chefkommentator Alan Posener und seine Kritik an "Bild"-Chefredakteur Diekmann. Posener hatte mehr Mut als die meisten Berufskollegen, deshalb wurde sein Blogbeitrag gelöscht, und damit die internen Grenzen der Meinungsfreiheit offensichtlich. Sonst läuft das unsichtbar im "redaktionelle Vorfeld" oder gleich im Kopf ab.
Die Hierarchien und Interessen im realen Wirtschaftsleben hebeln die Meinungsfreiheit aus. Die Angst des Journalisten vor "beruflichen Konsequenzen" zieht Linientreue nach sich. Bücher, die nie geschrieben werden, brauchen nicht spektakalär verbrannt werden. So funktioniert "gelenkte Demokratie", und weißtyr nicht nur in Russland. (Mehr dazu bei MomoRules.)

2003, zum 70. Jahrestag der Bücherverbrennung, machte ich ein kleines Experiment: Ich nahm mir eine Liste der in der Nazizeit verbotenen Bücher zur Hand und entfernte alle Bücher aus meinen Bücherregalen, die auf dieser Liste standen.
Obwohl bei weitem die meisten der mir gehörenden Bücher erst nach 1945 erschienen ist, riss diese Aktion sichtbare Lücken in meinen Buchbestand.
Fast habe ich den Eindruck, die Nazis seien gegen Qualität allergisch gewesen, denn auffallend viele der von ihnen verbotenen Bücher sind literarisch herrausragend oder inhaltlich originell.
Womit sich der Kreis zu den Angstbeißern von heute schließt: Mittelmäßiges läßt sich einschätzen, literarisch Schlechtes als ohnehin irrelevant vom Tisch wischen - aber was über den persönlichen Horizont hinaus geht, das macht Angst, das wirkt sogar dann gefährlich, wenn es gar nicht gefährlich ist.
Es kommt noch etwas hinzu: die meisten Tyrannen sind und waren Populisten. Ihre Macht ziehen sie auf der Unterstützung durch die "breite Masse", die man sich im Extremfall von 1933 als "breite braune Masse" vorstellen muß. Konformismus, auch und gerade kultureller Art, ist der klebrige Schleim, der solche breiten Massen zusammenhält. Nannte man damals "gesundes Volksempfinden".

Ein weiteres Merkmal der Bücherverbrenner: es ist immer ein höchst symbolisch aufgeladener, "religiöser" Akt. Weshalb in sekulären Systemen lieber unauffällig eingestampft als öffentlich verbrannt wird.
Weshalb dann auch die erste Bücherverbrennung des 21. Jahrhunderts, nein, nicht von religiösen Fanatikern, sondern von in festen kulturellen Bahnen denkenden und von aus der Religion abgeleiteten Angstphantasien gequälte Menschen verübt.
Die wahrscheinlich erste Bücherverbrennung im 21. Jahrhundert betraf J. K. Rowlings „Harry Potter“. Pastor George Bender und Mitglieder der amerikanischen christlichen „Harvest Assembly of God“-Kirche in Pittsburgh verbrannten während eines „book burning“-Gottesdienstes im März 2001 Harry Potter-Bücher mit der Begründung, der neue Held unzähliger Leser verherrliche Zauberei und Hexentum.
Wikipedia.

Wie groß muß die Angst vor dem göttlichen Strafgericht und der Helfern des Teufels sein, wenn sogar Kinderbücher verbrannt werden? Wobei das Fatale ja ist, dass diese Menschen wirklich Angst um die Seelen ihrer Kinder haben.
Alte Ängste. Und ein altes Rezept der Angstbewältigung.

Wer Bücher verbrennt, verbrennt innerlich vor Angst.

"Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen"

Heute, am 10. Mai, ist der "Tag des Buches". Anlaß dieser Tages waren die öffentlichen Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933: Wikipedia:Bücherverbrennung 1933 - Shoa.de:Bücherverbrennung 1933.

Sie waren ein Höhepunkt der organisierten und systematisch vorbereiteten Verfolgung "unbequemer" Schriftsteller. In erster Linie marxististische, pazifististische und jüdischer Schriftsteller, aber nicht nur. Es konnte jeden Schriftsteller treffen, der Rückgrad zeigte, der darauf beharrte, selber zu denken, der seine Gedanken nicht vorzensierte. Jeden "Nicht-Opportunisten".

Und es war keine Kampagne des Propagandaministeriums, keine Inszenierung des diabolischen Dr. Goebbels, auch wenn er begeistert mitmachte. Die Aktion wurde von der Deutschen Studentenschaft geplant und durchgeführt. Und sie war kein historischer Einzelfall. Bei Weitem nicht! Ich empfehle den sehr ausführlichen Artikel Bücherverbrennung in der Wikipedia. Auch heute werden Bücher verbrannt. In den letzten Jahren mit steigender Tendenz. Und es bewahrheitet sich immer wieder auf's Neue, was Heinrich Heine schrieb:
"Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen."
(Almansor. Eine Tragödie, 1821) Seine Worte beziehen sich auf eine Verbrennung des Koran während der Eroberung des spanischen Granada durch christliche Ritter. Sie werden aber auch im Zusammenhang mit der Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest 1817 gesehen, zu dem Heine schrieb:
Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren! (…) Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Haß des Fremden und dessen Glaube nur in der Unvernunft bestand, und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wußte als Bücher zu verbrennen! Ich sage Unwissenheit, denn in dieser Beziehung war jene frühere Opposition, die wir unter dem Namen "die Altdeutschen" kennen, noch großartiger als die neuere Opposition, obgleich diese nicht gar besonders durch Gelehrsamkeit glänzt. Eben derjenige, welcher das Bücherverbrennen auf der Wartburg in Vorschlag brachte, war auch zugleich das unwissendste Geschöpf, das je auf Erden turnte und altdeutsche Lesarten herausgab: wahrhaftig, dieses Subjekt hätte auch Bröders lateinische Grammatik ins Feuer werfen sollen!
(Heinrich Heine: Ludwig Börne. Eine Denkschrift. Viertes Buch, 1840)
Heine erkannte richtig: die Konsequenz aus dem Versuche, "unerwünschtes" und "unbequemes" Denken durch Vernichtung der Schriften der "unerwünschten" und "unbequemen" Denker zu eliminieren, führt zum Wunsch, auch die Denker selbst zu vernichten - und mit ihnen all jene, denen man auch nur "unbequemes" und "unerwünschtes" Denken zutraut. Eliminatorisches Denken ist in der Konsequenz immer möderisch.
Sein zweites Zitat deckt auf, in welcher Tradition die bücherverbrennenden Studenten des Jahres 1933 standen. Es zeigt deutlich: der Nationalsozialismus war kein historischer Betriebsunfall, und es war kein Zufall, dass der systematische, millionenfache Mord an "unerwünschten" Menschen, genannt "Holocaust" oder "Shoa" - wobei es wirklich kein Zufall war, dass Juden den Nazis-Mördern und ihren vielen willigen Helfern als besonders unerwünscht galten - von Deutschen verübt wurde.
Auf der Wartburg wurde gewissermaßen die Krematorien von Auschwitz angeheizt.
Damit man mich nicht falsch versteht: es gibt keine geschlosse Kausalkette, keine "historische Zwangsläufigkeit", keine "historische Schuld" (und schon gar keine "karmische Bestimmung") zwischen den Nationalromantikern des 19. und den Völkermördern des 20. Jahrhunderts. Aber damals wurden die geistigen Strukturen geschaffen, die "Denke" geprägt, die "Auschwitz" möglich machte.

Mit dieser Struktur meine ich die "Nationalromantik", die Idee vom "organisch gewachsenen Staat", die vom "deutsche Blut" und vor allem auch die Idee der "Kulturnation". Die Bücherverbrennungen auf der Wartburg ensprangen nicht zuletzt der Idee des einigende Bandes deutscher Kultur - und wer nicht dazugehören will, dessen Bücher werden verbrannt.

Typisch für die deutsche Nationalromantik ist, wie schon Heine wußte, ihr Hang, nationale Utopien in die ferne Vergangenheit zu projezieren. Zum Beispiel die "Varusschlacht" - im Jahre 9, als die Cherusker unter Arminius gegen drei römische Legionen siegten.
Für patriotische Deutsche war völlig klar, dass die “alten Germanen” durch die Bank “Deutsche” (und zwar national gesinnte Deutsche) waren. Und dass die bösen "Franzmänner" unter Napeoleon usw. zumindest die "Nachkommen" der "alten Römer" sind. Die Schlacht geriet geradezu zum Gründungsmythos Deutschlands - immerhin fast 900 Jahre, bevor zumindest einen Vorgängerstaat dessen, was man später "Deutschland" nennen sollte, gab.
Der Sieg war deshalb so “herrlich”, weil er ein Vernichtungssieg war. Generationen von Schulkindern wuchsen mit der Vorstellung auf, sie seine ein seit der grauen Vorzeit einheitliches Volk, in das “Uneinigkeit” nur durch äußere Einflüsse getragen wurde - ein “Fremder” ein “Einwanderer”, der nicht “vom richtigen Blute” ist, kann kein “wahrer Deutscher” sein.
Die "deutsche Indentität" wurde - und wird! - fast ausschließlich durch Abgrenzung gegenüber "den anderen" und durch "äußere Bedrohungen" hergestellt.

Im deutsche Nationalismus gilt nur die Vernichtung des Feindes wirklich als “Sieg” - “Hermann” (nicht zu verwechseln mit dem historischen Cheruskerfürsten Arminus) “lehrt uns, dass Kompromiss, Verständigung und sogar Gnade nichts als gefährliche Schwäche sind” und dass “wir Deutsche nur unsere Uneinigkeit fürchten müßen”.
Es gibt eine Tradition des “eliminatorischen Denkens”, gegenüber allen, die als “Volksfeinde”, als “außerhalb der Volksgemeinschaft” wahrgenommen werden. Die leider noch nicht gebrochen oder durch etwas Besseres ersetzt worden ist.

Auch nach dem Ende des Hitlerfaschismus bleib dieses Denken virulent. Sowohl die DDR wie die BRD funktionierten nur mittels Feindbilder, angsteinflößender äußerer Gegner, gegen die “wir” zusammenhalten müssen.
Seit 1989 sind die Feindbilder aus dem "Kalten Krieg" weg - und ich habe den Eindruck, dass sie vielen Deutschen fehlen.
Feindbildsuche gibt es auch in anderen Ländern, auch in solchen, die sich auf ihre liberale Tradition zurecht viel zugute halten. Aber ich habe den Eindruck, dass sie hierzulande besonders neurotische Züge annimmt. Am Auffälligsten ist das auf dem Feld der “Sicherheitspolitik” - ja, auch in anderen Ländern wird der “Krieg gegen den Terror” zum Vorwand genommen, Bürgerrechte ab- und einen Überwachungsstaat aufzubauen. Der Unterschied: in Deutschland ist das offensichtlich konsensstiftend.

Anläßlich der Bücherverbrennung vor 74 Jahren weise ich auf eine Veranstaltung in München hin: Brandfleck auf dem Königsplatz - MÜNCHEN liest - aus verbrannten Büchern. - München hat (im Gegensatz zu einigen anderen "Brandstädten") bis heute kein dauerhaftes Zeichen der Erinnerung an die in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" groß inszenierte Bücherverbrennung.

Leider gehört auch das zum Umfeld des "Tages des Buches": Ziel der Großrazzien gegen Gegner des G8-Gipfels waren unter anderem auch drei autonome Kulturzentren, die Rote Flora in Hamburg, das Künstlerhaus Bethanien und das Kulturzentrum Mehringhof in Berlin.
Ich bin kein Gegner des G8-Gipfels an sich, allerdings ein entschiedener Gegner des bizarren Angst-Abwehr-Apparates, genannt "Sicherheitsmaßnahmen".

Im Falle der "Roten Flora" kann ich sagen: Randale an der Roten Flora - das war mal. Und wer heute behauptet, die "alternativen Kulturzentren" seien Zentren der "gewaltbereiten Linken", der lebt geistig in den 80er Jahren, als die Hafenstraßenhäuser noch keine alternative Wohngenossenschaft waren. Da werden überholte Feindbilder reaktiviert. Weil "man" sich offenbar braucht - siehe oben!
Es ist auch kein Zufall, dass es gerade Kulturzentren trifft, denn
Kultur ist subversiv. Kultur ist gefährlich. Vor allem "alternative", "autonome", nicht staatlichen oder kommerziellen Vorgaben gehorchende Kultur. Wenn ein Staat das nicht mehr aushällt, dann werden nicht unbedingt Bücher verbrannt. Aber möglicherweise bald im Interesse der Sicherheit verboten.
Die Aktionen dienen, vemute ich, nicht in erster Linie der "Sicherheit des G8-Gipfels". Sie sind vor allem Machtdemonstrationen. Einschüchtern, damit "Ruhe im Land" herrscht. Teil der Erziehung zum Duckmäusertum.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Geheimauftrag MARIA STUART...
Krisenfall Meuterei Der dritte Roman der Reihe "Geheimauftrag...
MMarheinecke - 9. Apr, 19:42
Urlaubs-... Bräune
Das "Coppertone Girl", Symbol der Sonnenkosmetik-Marke...
MMarheinecke - 1. Aug, 08:34
Geheimauftrag MARIA STUART...
Ahoi, gerade frisch mit dem Postschiff eingetoffen. Der...
MMarheinecke - 26. Mär, 06:48
Kleine Korrektur. Man...
Kleine Korrektur. Man kann/sollte versuchen die Brille...
creezy - 11. Nov, 11:29
strukturell antisemitisch
Inhaltlich stimme ich Deinem Text zwar zu, aber den...
dummerle - 5. Jun, 11:12

Suche

 

Status

Online seit 7043 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


doof-aber-gut
Gedankenfutter
Geschichte
Geschichte der Technik
Hartz IV
Kulturelles
Medien, Lobby & PR
Medizin
Persönliches
Politisches
Religion, Magie, Mythen
Überwachungsgesellschaft
Umwelt
Wirtschaft
Wissenschaft & Technik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren