Georg Elser - ein einsamer Held

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit fand vorgestern der Jahrestag des Attentates auf Adolf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller statt.

Der einfache Handwerker Elser wurde von "offizieller" Seite jahrzehntelang nicht als einzelgängerischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus anerkannt. Auch heute noch steht seine gut durchdachte und mutige Tat im Schatten der Attentäter des "20. Juli 1944". Tatsächlich war Elsers Bombenattentat dasjenige von mindestens 42 Attentaten, die auf Hitler geplant wurden, dasjenige, das am nächsten "am Ziel" war - nur eine Verkettung unglücklicher Zufälle führte dazu, dass Elsers Bombe ihr Ziel um eine Viertelstunde verfehlte. Sie tötete stattdessen acht Besucher, die sich zuvor die Rede Hitlers angehört hatten. Sieben davon waren NSDAP-Mitglieder.
Erst gegen Kriegsende wurde Elser im KZ Dachau hingerichtet.

Näheres und viele Links im Wikipedia-Artikel Georg Elser
Georg Elser auf Shoa.de

Wieso wurde er trotzdem bis in die 1980er Jahre "vergessen"?
Elser war KPD-Mitglied aber Einzelgänger. Damit war zur hohen Zeit des "kalten Krieges" für Antikommunisten "unmöglich. Der kommunistische Widerstand gegen Hitler war ungewöhnlich opferreich, opferreicher als der anderer Gruppen. Elser schloss sich ihm bewusst nicht an - und war als Einzelgänger beinahe erfolgreich. Kein Held nach dem Herzen strammer und organisationsgläubiger Kommunisten.
Hinter Elser stand keine Widerstandsgruppe und auch keine politische oder gesellschaftliche Gruppierung, die seine Tat nach dem Ende des Nazi-Reichs für sich reklamieren konnte. Ein Held ohne Lobby.

Entscheidend für die Ablehnung Elsers war auch, dass die Umstände des Attentates seltsam unwahrscheinlich anmuten, und dass Hitler selbst meinte, er sei nur dank der Gunst der Vorsehung um Haaresbreite dem Tode entronnen.
Antifaschisten im In- und Ausland waren ähnlich wie beim Reichstagsbrand davon überzeugt, die Nationalsozialisten selbst hätten das Attentat organisiert, um den Glauben an den von der "Vorsehung" beschützten Führer zu stärken.

Hätte 1964 der Historiker Lothar Gruchmann nicht die vollständigen, aus 203 Seiten bestehenden Protokolle der Gestapo von den Verhören Elsers entdeckt, die die Versionen der Nazi-Propaganda ebenso Lügen strafte wie die z. T. verleumderischen Verschwörungstheorien, leider auch seitens anderer Widerständler, gäbe es heute wahrscheinlich kein offizielles Gedenken für Georg Elser. Historiker weigerten sich lange Zeit beharrlich, sich mit Elser als Widerständler zu beschäftigen, weil sich das Gerücht hielt, er sei eine Marionette der Nationalsozialisten gewesen. Seine Familie wurde geschmäht und erhielt keine Haftentschädigung.
Die Wahrheit entzog sich durch ihre "Unglaubwürdigkeit" der Wahrnehmung.

Erst durch den Film "Georg Elser - einer aus Deutschland" aus dem Jahr 1989 wurde Elser der breiten Öffentlichkeit wirklich bekannt.

Wenn Elser Erfolg gehabt hätte, wäre seine Tat vermutlich folgenschwerer und segensreicher gewesen als etwa ein geglücktes Attentat vom 20. Juli 1944. Der zweite Weltkrieg war noch kein "Weltkrieg", der systematische industrielle Massenmord an Juden, "Zigeunern", Behinderten, Andersdenkenden und Menschen, die das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, hatte noch nicht begonnen. Und: die internen Machtkämpfe innerhalb des NS-Staates waren zu dieser Zeit besonders heftig.
Das Attentat wäre zu genau dem richtigen Zeitpunkt gekommen - und die Bombe hätte außer Hitler wahrscheinlich auch Propagandaminister Goebbels, den Generalgouverneur des besetzten Polens, Hans Frank, Außenminister Ribbentrop, den Beauftragten für die "Euthanasie" (systematische Ermordung von Behinderten und psychisch Kranken) Bouhler und nicht zuletzt den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, getötet.

Die Folge wäre ohne Zweifel ein offener Machtkampf gewesen, in dem sich zwar mit einiger Wahrscheinlichkeit Hermann Göring durchgesetzt hätte, der aber wahrscheinlich die politische und militärische Führung so lange gelähmt hätte, dass Frankreich und Großbritannien Deutschland militärisch hätte besiegen können. Aber selbst wenn es nicht so günstig gekommen wäre: weder die Judenvernichtung noch der Vernichtungskrieg gegen die UdSSR standen auf der "Agenda" der verbliebenen "NS-Größen" so weit oben wie bei Hitler und Himmler.

Randbemerkung: Soeben habe ich - formaljuristisch betrachtet - einen Mörder und Bombenleger, der es auf das Leben des damaligen deutschen Staatsoberhaupt und einiger seiner wichtigsten Regierungsmitglieder abgesehen betrachtet, verherrlicht. Ob "man" mich deshalb für einen Terroristen-Sympathisanten halten und observieren wird? Wenn der Bombenbastler nicht ausgerechnet "Georg Elser" hieße, hielte ich das für durchaus möglich.
Kokettieren mit terroristischem Gedankengut.

Zweite Randbemerkung: Georg Elsers "unwahrscheinliches" Attentat ist einer der Gründe, weshalb ich skeptisch bin, wenn jemand nach Attentaten von "eindeutigen Inszenierungen" und "Inside Jobs" redet.
Rayson (Gast) - 11. Nov, 21:59

Danke für diesen Beitrag, Martin!

Georg Elser ist wirklich jemand, an den man sich erinnern sollte. Mir hat seine Tat schon immer imponiert.

Der Vergleich zu Stauffenberg & Co. ist lehrreich, ohne da werten zu wollen.

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