Medizin

Mittwoch, 22. Juli 2009

Multiple Sklerose: Zwei Faktoren gemeinsam machen krank

Die Auslöser und Ursachen für entzündliche Krankheiten des Nervensystems wie beispielsweise der Multiplen Sklerose (MS) sind noch immer nicht zweifelsfrei identifiziert. Unter den Verdächtigen ragen zwei Faktoren besonders hervor: Eine erhöhte Anfälligkeit des zentralen Nervensystems gegenüber Angriffen von außen und ein fehlerhaft arbeitendes Immunsystem.

Inwieweit sich diese beiden Faktoren gegenseitig beeinflussen, war bislang nicht geklärt. Forschern der Universität Würzburg ist es jetzt gelungen, ein wenig Licht ins Dunkel zu tragen. In Versuchen an Mäusen fand das Forschungsteam um den Mediziner Heinz Wiendl und den Neurobiologe Rudolf Martini, heraus:
Treffen beide Faktoren - Myelinschaden und fehlerhaftes Immunsystem - aufeinander, verstärkt sich die Entzündungsreaktion im Bereich des zentralen Nervensystems; die Gewebeschäden nehmen zu. Fehlerhaft arbeitende Immunzellen allein verursachen hingegen keine Schäden.

Pressemitteilung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

Montag, 20. Juli 2009

Hypnotische Trance und Psychotherapie - nur Psycho-Irrtümer?

Vor einigen Jahren sorgte der Medizinjournalist Rolf Degen mit seinem Lexikon der Psycho-Irrtümer mit zum Teil recht steilen Thesen für Aufsehen. Darin veriss er, in einem ziemlich polemischen Stil, psychotherapeutische Techniken, deren Wirksamkeit "nicht über jene von Aderlass, Geisterbeschwörung und Gesundbeten hinaus" reichen würde.
Ich muss zugeben, dass das Buch mich damals beeindruckte, obwohl ich erkannte, dass Degen zuwenig differenzierte und einen breiten Rundumschlag gegen die "Psycho-Szene" bis hin zu ihren esoterischen Rändern schrieb, bei dem auch mutmaßlich seriöse Ansätze der Polemik zum Opfer fielen.
Inzwischen sind einige Jahre vergangen, in denen es vor allem in der Neuropsychologie und Neurobiologie viele neue Erkenntnisse gab. Auch wenn nicht alle diese Erkenntnisse so spektakulär und allgemeingültig sein dürften, wie es in Pressemeldungen den Anschein hat, und die bildgebenden Verfahren der Hirnuntersuchung, vor allem der PET, wahrscheinlich überschätzt werden, lohnt es sich meiner Ansicht nach, einige der Thesen in Degens Buch noch einmal anzusehen.

Degen hinterfragte unter anderem die These, es gäbe veränderte Bewusstseinszustände, etwa während der Meditation und in hypnotischer Trance. Das gipfelte in der Aussage: "Es gibt, wissenschaftlich gesehen, keinen Unterschied zwischen Meditation und einem Mittagsschlaf."

Auch wenn ich es schon öfter erlebt habe, dass eine Meditation ungewollt und nahtlos in Schlaf überging, gibt es sehr wohl einen Unterschied zwischen Wachzustand, meditativer Versenkung und Schlaf. Schon damals fand ich Degens Aussage vor dem Hintergrund erstaunlich, dass ein Neurologe ohne weiteres am EEG erkennen kann, ob ein Patient gerade normal wach, konzentriert, tief entspannt oder eingeschlafen ist. Da die unterschiedlichen Formen der Meditation auf Konzentration oder auch auf tiefe Entspannung abzielen, nicht jedoch aufs Einschlafen, ist Degens Aussage, beim Wort genommen, unsinnig. Aus dem Kontext ergibt sich, dass Degen damit meinte, Meditation bewirke nichts anderes als Entspannung, was immerhin eine diskutable Ansicht ist.
Degen ging es im Meditations-Kapitel vor allem darum, vollmundige Versprechen aus der eher esoterischen Ecke, welche Wunderdinge dank Meditation möglich seinen, zu entlarven.

Zentraler Punkt seiner Argumentation gegen die Hypnose (genauer: die hypnotische Trance) als besonderer Bewußtseinszustand war, dass alle spektakulären Handlungen unter Hypnose ebenso im Wachzustand möglich seien. Dazu müssten drei Voraussetzungen erfüllt werden: 1. der Wunsch, dem Versuchsleiter/Hypnotiseur einen Gefallen zu tun, 2. die Überzeugung, dass die Handlung nicht gefährlich ist, und 3. die Überzeugung, dass die Verantwortung für die Konsequenzen beim Versuchsleiter/Hypnotiseur liegt. Ein besonderer Bewusstseinszustand sei nicht erforderlich. Die "Entrückten" seien in einem klaren Wachzustand und gäben lediglich eine theatralische Vorstellung, die ihren vorgefertigten Erwartungen an das Szenario entspräche.
Im Großen und Ganzen entspricht Degens Ausführung über Hypnose seinem Artikel Nur alltägliche Fähigkeiten hervorgelockt?, den er schon 1996 für die "Welt" schrieb.
Nun ist es so, dass die Anhänger der Hypnose versuchen, die wissenschaftliche Fundierung dieser Methode hervorzuheben, indem sie beispielsweise die therapeutische Hypnose oder die Hypnose asl Methode zur Schmerzbeeinflussung bewusst gegenüber der "Showhypnose" abgrenzen, die oft tatsächlich mit Täuschungseffekten arbeitet. Soweit ich Degen verstehe, hält er diese Rechtfertigung für nicht stichhaltig. Hypnotische Trance als besonderen Bewusstseinszustand gäbe es nicht, sie sei nur ein soziales Artefakt.
Degen konnte, als er sein Buch schrieb, natürlich noch nichts von den 2004 veröffentlichten Untersuchungen John Gruzeliers vom Imperial College in London wissen. Gruzellier zufolge hat Hypnose tatsächlich einen unmittelbaren und mittels Gehirnscan messbaren Effekt auf das Gehirn. Die Trance würde die Fähigkeit, künftige Aktionen zu planen, beeinflussen. Dies wirkte sich bei leicht hypnotisierbaren Menschen anders aus als bei Menschen, die resistenter gegen eine Hypnose seien. In Trance planlos - Wie Hypnose aufs Gehirn wirkt. 2005 kam ein amerikanisches Forschungsteam um Amir Reiz zu dem Ergebnis, dass Hypnose die Informationsverarbeitung im Gehirn so stark verändern könne, dass typische Wahrnehmungskonflikte nicht mehr aufträten. Der Effekt, der ausschließlich bei hypnoseempfindlichen Menschen auftrat, veränderte dabei deutlich die Gehirnaktivität, was mit der funktionellen Magnetresonanztomographie nachweisbar war. Wie Hypnose die Hirnfunktionen verändert. Seitdem 2007 israelische Forscher mit Hilfe von Hypnose jene Gehirnregionen identifizierten, die am Wiedererlangen der Erinnerung nach einem kurzzeitigen Verlust des Gedächtnisses beteiligt sind (Hypnotisierende Erkenntnisse), und 2008 eine britische Forschergruppe um Roi Cohen Kadosh nachwies, dass unter Hypnose eine Verknüpfung zwischen Zahlen und Farben suggeriert werden kann (eine Synästhesie), die auch noch nach der Hypnose anhalten kann, (Was Buchstaben farbig macht) sieht es ganz so aus, als ob die Hypothese, Hypnose sei nichts als ein soziales Artefakt, im Licht der Hirnforschung nicht mehr haltbar wäre.

Kommen wir zur Psychotherapie. Degen schien wenig von den "Redekuren" zu erwarten, und stellte ihnen die nachgewiesenen Effekte der Psychopharmazeutika gegenüber.
Wenn eine Psychotherapie wirkt, dann müsste sich diese Wirkung, genau so wie die von psychopharmazeutischen Medikamenten, im Hirnstoffwechsel niederschlagen.
In der Tat zeigte eine vom Psychiater Jakob Koch geleitete Studie an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, dass eine erfolgreiche Psychotherapie die Konzentration eines Transkriptionsfaktors im Gehirn erhöhte. Protein zeigt Behandlungserfolg an. Insgesamt 30 Patienten, die unter Depressionen, absolvierten sechs Wochen lang eine Interpersonelle Psychotherapie mit insgesamt 12 Gesprächssitzungen. Bei rund der Hälfte der Teilnehmer zeigte diese Kurzzeitbehandlung Wirkung: Die Schwere ihrer Depression, per Fragebogen ermittelt, ging deutlich zurück. Bereits eine Woche nach Therapiebeginn konnten die Forscher bei diesen Patienten eine erhöhte Konzentration an pCREB, der aktiven Form des Proteins, messen. Bei jenen Teilnehmern, die nicht auf die Behandlung ansprachen, fand sich dagegen kein solcher Anstieg.
Was zuvor schon für Antidepressiva bekannt war, trifft somit auch für die Psychotherapie zu: Eine erfolgreiche Behandlung führt zu mehr aktiviertem CREB.

Eine verzerrte Körperwahrnehmung ist Risiko- und aufrechterhaltender Faktor von Essstörungen wie Magersucht (Anorexie) und Ess-Brech-Sucht (Bulimie). Dr. Silja Vocks von der Ruhr-Universität Bochum bestätigte nicht nur, dass sich diese Verzerrung sich in den Hirnfunktionen widerspiegelt, sie konnte sogar nachweisen, dass durch Körperbildtherapie diese Hirnfunktionen verändert werden können. Therapie verändert das Gehirn - Neuropsychologische Grundlagen des gestörten Körperbildes bei Essstörungen

Das sagt selbstverständlich nichts darüber aus, welche Formen der Psychotherapie sinnvoll sind. Sicher gibt es auf diesen Gebiet Einiges an Scharlatanerie. Da Degen kaum differenzierte, welche Arten "der Psychotherapie" er in seiner Polemik aufs Korn nahm, ist sein markiger Vergleich zwischen Psychotherapie und "Aderlass, Geisterbeschwörung und Gesundbeten" wohl widerlegt.

Mittwoch, 20. Mai 2009

Von Prioritätenlisten und faulen Sündenböcken

Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe hat zum Auftakt des 112. Deutschen Ärztetags den Vorwurf erhoben, dass die Politik die Öffentlichkeit bewusst über den Zustand des Gesundheitswesens täuschen würde. "Die Öffentlichkeit ist lange genug geblendet worden", erklärte er in Mainz. Wer heute "behauptet, die umfassende Gesundheitsversorgung sei sicher, der sagt schlicht und einfach nicht die Wahrheit". Ärztepräsident wirft Politik Lügen vor. Ärztepräsident Hoppe fordert eine Prioritätenliste. Was meiner Ansicht nichts an den strukturellen Konstruktionsfehlern des deutschen Gesundheitssystems ändern würde und die Tatsachen eher vernebelt. Es gibt einen Verteilungskampf innerhalb des Gesundheitssystems, und Hoppe vertritt in diesem Verteilungskampf eben die Interesse "seiner" Ärzte. Ein Vertreter z. B. der Pharmaindustrie würde anders reden.
Aber ich bin schließlich kein Gesundheitsökonom.

Gesundheitsökonom ist hingegen Professor Günter Neubauer, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG) in München, der von tagesschau.de interviewt wurde: "Künstliche Hüfte erst bei Normalgewicht". Ein Interview, das meines Erachtens einen unangenehmen propagandistischen Drall hat.
tagesschau.de: Was treibt die Kosten im Gesundheitssystem in die Höhe?

Neubauer: Zu den Hauptfaktoren gehören die medizinischen Innovationen, die für eine älter werdende Bevölkerung von hoher Bedeutung sind. Und natürlich die Demokratie, die sagt: Von den Innovationen soll möglichst keiner ausgeschlossen werden - zumindest keine wichtige Wählergruppe.
Eine, wie ich finde, unbefriedigende Antwort. Zwar sind medizinische Neuerungen und die demographische Entwicklung Faktoren bei der Kostensteigerung im Gesundheitswesen - wobei meiner Ansicht nach von einer "Kostenexplosion" keine Rede sein kann.
Einige weitere, spezifische deutsche, Gründe für ein teures Gesundheitswesen sind z. B. die in Deutschland überdurchschnittlich hohen Arzneimittelpreise, und die Tatsache, dass hierzulande z. B. erheblich mehr geröngt wird, mehr Katheteruntersuchungen gemacht werden, überhaupt ein Patient häufiger untersucht wird, als in unseren Nachbarländern. Im Falle z. B. des Röntgens durchaus auch zum gesundheitlichen Nachteil des Patienten.
Über Deutschland hinaus gibt es weitere Faktoren, die die Gesundheitskosten in die Höhe treiben. Da wären z. B. die erfundenen Krankheiten, vom "Sissi-Syndrom" bis zu utopisch niedrigen Cholesterin-Grenzwerten. Wie überhaupt die wirtschaftlichen Interessen der Arznei- und Hilfsmittelhersteller oft "über Bande" durchgesetzt werden. Es wird für meinen Geschmack auch zu wenig darüber diskutiert, dass die Pharmaindustrie mehr Geld für Public Relation als für Forschung ausgibt. Interessant ist auch die Tatsache, dass Privatpatienten, obwohl sie diagnostisch gesehen im Schnitt "gesünder" sind als Kassenpatienten, z. B. im Schnitt häufiger operiert werden als Kassenpatienten.
Der Anteil der Kosten für das Gesundheitswesen am Bruttoinlandsprodukt liegt übrigens seit Jahrzehnten ziemlich konstant bei 10 Prozent. Die finanziellen Probleme der Sozialsysteme sind nicht wegen einer "Kostenexplosion" eskaliert, sondern hauptsächlich wegen der Einnahmeeinbrüche durch die hohe Arbeitslosigkeit und unzureichende Lohnerhöhungen - denn Sozialbeiträge sind an die Löhne gekoppelt.

Zurück zum Interview. Neubauers Antworten haben einen "Spin", den man z. B. auch aus dem Harz-IV / ALG II -Diskurs kennt: "Wem es dreckig geht, der ist halt selber schuld".
Bei der Prioritätensetzung kommt ein Aspekt dazu, den auch Herr Hoppe meint: Es ist die Frage der Verursachung durch veränderbare Verhaltensweisen. Das heißt: Ein übergewichtiger Mensch sollte seine Hüfte erst erhalten, wenn er auf Normalgewicht kommt, weil dann diese Hüfte länger hält und er sich in dieser Form indirekt beteiligt. Zugleich ist dies eine Warnung an andere Übergewichtige, nicht erst alles in sich hineinzufuttern und die negativen Folgen von anderen finanzieren zu lassen.
Dass Neubauer dabei tatsächlich auch an Langzeitarbeitslose denkt, wird aus folgender Antwort klar:
Die Übergewichtigen würden in einer privaten Versicherung höhere Beiträge zu zahlen haben. Denn sie belasten durch ihr Übergewicht die Versichertengemeinschaft stärker. In der Solidargemeinschaft zahlen die Übergewichtigen aber in der Regel niedrigere Beiträge, weil meist auch ihr Einkommen niedriger ist. Von daher ist das Gefühl der Gerechtigkeit auch von der anderen Seite zu sehen: Der Beitragszahler, der jeden Morgen aufsteht und joggt, um sein Gewicht zu halten, wird es als äußerst ungerecht empfinden, dass neben ihm jemand erst um 8 Uhr aufsteht, bis 10 Uhr futtert, Übergewicht hat und dann eine Hüfte braucht, für die er mitzahlen muss.
Erst um "8 aufstehen und bis 10 Uhr futtern" kann regelmäßig eigentlich niemand, der Arbeit hat. Es ist meiner Ansicht nach bezeichnend, dass Neubauer den Faktor "Faulheit" hervorhebt, und nicht etwa den, dass z. B. Niedrigverdienern oft nichts anderes übrig bleibt, als sich "billig" und damit oft ungesund zu ernähren.
(Übrigens ist gerade Joggen nicht der ideale Sport für Menschen mit beginnender Arthrose. Aber Neubauer ist schließlich Gesundheitsökonom, kein Arzt.)

Der Ansatz, der von Neubauer vertreten wird, folgt der weit verbreiteten Tendenz, unreflektierte "Stammtischargumente" mit der kühlen instrumentellen Vernunft der Ökonomie zu verbinden.
Ein - mutmaßlich gut verdienender - privat Versicherter soll ruhig sein Übergewicht haben, denn er zahlt dafür. Ein gesetzlich Versicherter ist hingegen verpflichtet, der Gemeinschaft nicht "zu Last zu fallen", und hat gefälligst so gesund wie möglich zu Leben. Ganz besonders gilt das für die unproduktiven Langzeitarbeitslosen.

Fast erinnert Neubauers Antwort an den berühmt-berüchtigten ehemaligen Berliner Ex-Finanzsenator Sarrazin. Sein Speiseplan für Hartz IV-Empfänger, mit dem er beweisen wollte, dass man sich auch mit dem Regelsatz gesund und ausreichend ernähren könnte, war auf einen unrealistisch niedrigen Tagesbedarf von 1.550 kcal ausgelegt. Sarrazin "rechtfertigte" seine Hungerdiät mit dem zynischen Ausspruch: "Wenn man sich das anschaut, ist das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern das Untergewicht".

Der Mensch im ökonomistischen Weltbild ist ein Kostenfaktor, Abweichungen von der Norm erzeugen Verluste, folglich muss der Mensch für das System zugerichtet werden. Juli Zeh stellt in ihrem dystopischen Roman "Corpus Delicti" die logische Konsequenz des Kosten-Nutzen-Denkens im Gesundheitswesen dar: eine Gesundheitsdiktatur, in der "Abweichler" zu Gunsten des vermeindlichen Gemeinwohls "beseitigt" werden. Juli Zeh über Gesundheitsdiktatur (Zeit.de).

Donnerstag, 14. Mai 2009

Gefährlich Überschätzung: Homöopathie gegen "Schweinegrippe"

Unter der banalen Überschrift der Pressemitteilung verbirgt sich m. E. ungeheuerliches: Homöopathische Ärzte behandeln H1N1-Erkrankte.
Es wäre auch schlimm, wenn in Homöopathie ausgebildete Ärzte Grippekranke nicht behandeln würden. Im Ernst: ich bestreite nicht, dass es Mittel im homöopathische Arzneischatz gibt, die, zusätzlich zu einer konventionellen Behandlung gegeben, bei einer Grippe hilfreich sein könnten. Aber darum geht es ja nicht.

Mich stört ganz gewaltig, dass in dieser Pressemeldung Curt Kösters, Vorsitzender des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), seine Behauptung, diese Infektionskrankheit ließe sich sehr gut homöopathisch behandeln (ausschließlich homöopthisch behandeln, wenn ich ihn richtig verstehe), mit einem Beispiel aus der Zeit der Pandemie der "Spanischen Grippe" von 1918 belegt.
Nicht nur, dass es noch keine Grippeschutzimpfung gab. Eine Impfung gegen die "Schweinegrippe" ist immerhin in Sicht, so dass mit einer Pandemie von dem Ausmaßen der "Spanische Grippe" nicht zu rechnen ist. Außerdem bieten herkömmliche Impfungen gegen H1N1-Viren wahrscheinlich über Kreuzimmunität einen gewissen Schutz.
Von wirksamen virustatische Medikamenten, wie Oseltamivir (Handelname u. A. Tamiflu) oder Zanmirvir (Handelsname u. A. Relenza) konnten damalige Ärzte nicht einmal träumen. Das einzige, was ein Arzt damals machen konnte, war eine symptomatische Therapie. Und auch deren Möglichkeiten, Komplikationen wie etwa eine Lungenentzündung zu verhindern, waren in der Zeit vor den Antibiotika verglichen mit heute bescheiden.

Dr. H. W. Sjögren hatte damals laut Dr. Cösters 805 Fälle von Grippe dokumentiert, die er homöopathisch behandelte, "da die Sterblichkeit bei allopathischer Behandlung abschreckend wirkte." (Allopathisch wäre bei Grippe etwa die Gabe eines fiebersenkenden Mittels - was außer bei lebensgefährlich hohem Fiber bei der Virusgrippe tatsächlich unangebracht ist, damals aber gängige Praxis war.) Dr. Sjögren verzichte offensichtlich auf die im Grunde hilflosen, manchmal sogar schädlichen, Therapieversuche anderer Ärzte - und machte damit gute Erfahrungen.

Aus heutiger Sicht würde aber eine rein homöopathische Behandlung einer schweren Virusgrippe bedeuten, dass dem Patienten eine in den meisten Fällen wirksame Behandlung mit "konventionellen" Medikamenten vorenthalten wird. Ich hoffe sehr, dass die in Homöopathie ausgebildeten Ärzte die Möglichkeiten dieser Methode nicht so überschätzen, wie dies offensichtlich der Vorsitzende des DZVhÄ tut.

Um es ganz deutlich zu sagen: mit dieser Pressemitteilung wirb der DZVhÄ leichtfertig mit Heilungsversprechen, die aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar sind!

Donnerstag, 30. April 2009

Einfache Hygeniemaßnahmen helfen!

Es gibt ein Mittel, das wahrscheinlich ein Drittel der Krankenhausinfektionen verhindern könnte, das die Ausbreitung gefährlicher Infektionskrankheiten wie der Grippe (einschließlich "Schweinegrippe") wirksam eindämmt, und viele Fälle von Lebensmittelvergiftung verhindern könnte.

Es ist sehr kostengünstig, wird nicht von der Pharma-Industrie hergestellt und erfordert keinen großen Aufwand: Handhygenie.
Das sind vor allem häufiges und richtiges Händewaschen, gegebenenfalls Hände desinfizieren und Einmal-Handschuhe tragen.

Material zur Aktion „Wir gegen Viren“ – Richtiges Händewaschen schützt (pdf).

Montag, 27. April 2009

Wusst' ich's doch: Kritzeln fördert die Konzentration

Ich bin Kritzler, und zwar schon seit dem frühen Schulalter. Auch schon seit der Schulzeit kenne ich das Standardproblem aller Kritzler: Nicht-Kritzlern klarzumachen, dass es kein Zeichen von Unaufmerksamkeit ist, wenn ich vor mich hin zeichne.

Mit Krakeleien ("doodles") lässt sich die Konzentration verbessern. Das jedenfalls berichtet das Magazin GEO in seiner aktuellen Ausgabe (Heft 5 / 2009).
Wenn auch bei Meldungen des Typs "Psychologe hat (sensationelle, gängige Ansichten umstürzende Erkenntnis) über (irgendwas total Banales) herausgefunden" erfahrungsgemäß äußerste Skepsis angebracht ist, steckt hinter der Nachricht ein nachvollziehbares psychologisches Experiment.

Die Psychologin Jackie Andrade von der britischen Universität Plymouth ließ 40 Probanden eine Bandnachricht anhören. Eine besonders monotone Stimme gab - neben zahlreichen weiteren Informationen - acht Personen bekannt, die zu einer Party kommen würden. Die Hälfte der Versuchspersonen erhielt zudem ein Blatt mit einfachen Figuren zum Ausmalen. Als die Teilnehmer anschließend einem Gedächtnistest unterzogen wurden, zeigten sich deutliche Unterschiede: Die "Doodler" konnten sich an 29 Prozent mehr Details erinnern.
Einwand hinsichtlich des Versuchsaufbaus: Ausmalen wäre mir zu monoton - typischerweise kritzel ich irgendwas, was mich irgendwie an das Gehörte erinnert. Damit ist schon mal eine Assoziationsbrücke gebaut, ich erinnere mich an das Bildchen, und schon weiß ich, worum es z. B. bei einem Vortrag ging. Das ist auch der Grund, weshalb andere Menschen mit meinen Notizen so wenig anfangen können: sie bestehen aus Stichworten und z. T. abstrakten "Doodles".

Die Forscherin vermutet, dass Kritzeln Menschen wacher hält, die sonst in Tagträume abdriften würden. Stimmt! Denn diese Fantasien beanspruchen viel Gehirnleistung, während Kritzeleien kaum von der eigentlichen Sache ablenken. Andrade will nun prüfen, ob sich mit "Doodles" zum Beispiel auch Hungergefühle überspielen lassen. So nett eine "Kritzeldiät" auch wäre: meiner eigener Erfahrung entspricht das nicht.

Sonntag, 15. März 2009

Das PIPPO-Syndrom - oder: Wie man finanziell attraktive Krankheiten generiert

Das lebendsbedrohliche PIPPO-Syndrom entdeckte ich soeben in einem interessanten Artikel Ein Pippo breitet sich aus. Wobei das PIPPO-Syndrom in erster Linie für das Krankenversicherungssystem lebensbedrohlich ist.

Nun ist Lesern des sehr empfehlenswerten aufklärerischen Buches von Jörg Blech Die Krankheitserfinder nichts Neues, dass wir systematisch zu Patienten gemacht werden. (Nebenwirkung - sehr häufig: unbezahlbares Gesundheitssystem.) Blech schrieb zu diesem Thema 2003 den immer noch aktuellen "Spiegel"-Artikel Die Abschaffung der Gesundheit.
Wie Pharma-Lobbying in der Praxis (in doppelter Wortbedeutung) funktioniert, lässt sich regelmäßig im Blog Stationäre Aufnahme nachlesen.

Wie aber erfindet man eine finanziell attraktive Krankheit? Norbert Donner-Banzhoff zeigte in seinem Eröffnungsvortrag einer Konferenz für evidenzbasierte Medizin, wie es gemacht wird:
Donner-Banzhoff verpasste ihr ganz nach Pharmamanier auch gleich ein medizinisches Etikett: das PIPPO-Syndrom.

Ein PIPPO in freier Wildbahn
Wer einen Fall von PIPPO erleben will will, dem riet der Marburger Mediziner, eine beliebige Seite der Ärztezeitung (nicht zu verwechseln mit dem Ärzteblatt) aufzuschlagen. Denn in jeder Ausgabe finde man mindestens ein halbes Dutzend Artikel dieses Schemas:

The Random medical news
Das Auftreten von X nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Glücklicherweise steht in Form von Y eine wirksame und sichere Behandlung zur Verfügung, wie Professor Z (siehe Foto) auf einem Satellitensymposium der Firma Q anlässlich der Jahrestagung der Fachgesellschaft für R mitteilte.


Darin, so Donner-Banzhoff, steckt alles, was ein PIPPO braucht:

P wie Panik vor einer neuen oder alten Krankheit, die auf jeden Fall immer schlimmer wird
I wie Industrienähe, denn wo dieses Syndrom auftritt, befindet sich auch ein neues Medikament in Reichweite
P wie Pathophysiologie, insbesondere bunte Bilder, die den Zusammenhang zwischen Krankheit und Medikament anschaulich darstellen
P wie Pseudolösungen, also Technologien, die Probleme (scheinbar) bekämpfen, nicht aber deren Ursachen
O wie Ohne Grenzen

Das "O" stehe für den grenzenlosen "Drang des PIPPO-Charakters", also des Syndromverursachers, "die Menschheit mit seinen Technologien zu beglücken", sagte Donner-Banzhoff. Anlässe gibt es genug: "Von rüpelhaften Kindern und Schwierigkeiten beim Sex über Aufstoßen und Sodbrennen bis zu Konzentrationsschwierigkeiten und Unglück im Allgemeinen – das alles kann man mit medizinischen Etiketten versehen. Und das tun wir, seit es ein kommerzielles Verwertungsinteresse gibt."
Einige besonders offensichtliche Fälle:
Das Sisi-Syndrom, eine neue Ausprägung der Depression, wurde 1998 von der Firma SmithKline Beecham (heute GlaxoSmithKline) ans Licht der Welt gebracht, Jenapharm und Dr. Kade/Besins Pharma erfanden das Aging-Male-Syndrom, die Menopause des Mannes. Aber auch gesenkten Grenzwerte für Blutzucker (bei Typ II-Diabetes) oder für Blut-Cholesterin gehen auf das Konto des PIPPO-Syndroms.

Es gibt aber, laut Donner-Banzhoff, ein probates Mittel gegen diese Epidemie: unbequeme Fragen.
Gab es Studien und wie war ihr Design?
Steht der Nutzen einem möglichen Schaden gegenüber?
Erlaubt der Wert, den eine neue Vorsorgeuntersuchung misst, wirklich einen Rückschluss auf die spätere Krankheit?
Und, mit Hinblick auf das Symptom "I wie Industrienähe": Wer hat wen bezahlt?

Ich vermute, dass es, neben reinen finanziellen Interessen, noch weitere wichtige Faktoren für die PIPPO-Epidemie gibt. Einer wäre die weit verbreitete Tendenz, Norm-Abweichungen zu pathologisieren, zur Krankheit zu erklären - und zwar, um sich nicht mit sozialen Problemen auseinandersetzen zu müssen. Wenn etwa AHDS auf eine Stoffwechselstörung im Hirn des kleinen Zappelphillips reduziert wird, die durch Ritalin-Tabletten "repariert" werden kann, dann erspart das den Eltern und Lehrern die Auseinandersetzung mit den Gründen, wieso Kinder in der Schule unkonzentriert und zappelig sind.
Außerdem liegt nahe, dass ohne Angst als allgemeines Lebensgefühl sich sich die PIPPO-Epidemie nicht ausbreiten könnte.

Samstag, 31. Januar 2009

Radikale Therapie gegen Multiple Sklerose

Im doppelten Sinne "radikal" - nämlich im Sinne von "bei der Wurzel ansetzend" und "bereit, drastische Mittel einzusetzen" - ist ein Therapieansatz, der im Rahmen einer kleinen Studie mit 21 MS-Patienten verfolgt wird: ihr hyperaktives Immunsystem wurde absichtlich zerstört und anschließend mit ihren eigenen blutbildenden Stammzellen wieder neu aufgebaut.

Multiple Sklerose ist eine bösartige Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die Myelinscheiden (eine Schicht, die die Fortsätze der Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark umgibt) angreift. Fehlen die Myelinscheiden, arbeiten die Nervenzellen nicht mehr richtig, es kommt zu Lähmungen, aber auch Sehproblemen oder Sprachstörungen. Multiple Sklerose gilt bis heute als unheilbar, bisher übliche Immuntherapien können den Verlauf lediglich verzögern.
Seit Jahren versuchen Forscher, die "fehlgesteuerte" Körperabwehr sozusagen umzuprogrammieren – mit bescheidenem Erfolg.

Im Gegensatz zu den meisten bisherigen Ansätzen konzentrierten sich Richard Burt und sein Team nun jedoch nicht auf Fälle, in denen die Nervenzellen bereits irreversibel geschädigt waren, sondern setzen die radikale Therapie des Zerstören und Wiederaufbauens bei relativ jungen Patienten in sehr frühen Stadien der Krankheit ein.
wissenschaft.de: Mit eigenen Stammzellen gegen MS
Die Ergebnisse waren insgesamt positiv. So ging es 17 der 21 Teilnehmer noch drei Jahre nach der Transplantation messbar besser als vorher, lediglich bei zweien war keine Besserung aufgetreten. Fortgeschritten war die Krankheit abgesehen von kurzen Rückfällen, die sich unter medikamentöser Behandlung vollständig zurückbildeten, bei niemandem.

Die Forscher wollen als nächstes größere Patientengruppen mit besseren Kontrollsystemen untersuchen, halten ihren Ansatz jedoch bereits jetzt für sehr vielversprechend.

Abstract bei Sciencedirect.com: Autologous non-myeloablative haemopoietic stem cell transplantation in relapsing-remitting multiple sclerosis: a phase I/II study

Mittwoch, 21. Januar 2009

Dicke Panikmache

Im aktuellen Heft des populärwissenschaftlichen Magazins "Bild der Wissenschaft" findet sich ein Artikel, der über den eigentlichen Inhalt hinaus interessant ist:
Dicke Kinder, dünne Daten
In der Debatte um übergewichtige Kinder herrscht, dem Artikel zufolge, viel Hysterie. Es kursieren falsche Zahlen; es gibt gar nicht so viele krankhaft übergewichtige Minderjährige, wie immer wieder behauptet wird.
Kindliches Übergewicht ist schwer zu bewerten. Deshalb lässt sich heute kaum vorhersagen, wie krank dicke Kinder als Erwachsene sein werden - womit Szenenarien, wie sie etwa Gesundheitsministerin Ulla Schmidt öffentlich vertritt, fragwürdig werden. ("Übergewichtigte Kinder sind die Diabetiker und Diabetikerinnen und Herzinfarktopfer von morgen" - Sie beziffert die Folgekosten von Fehlernährung auf rund 70 Milliarden Euro pro Jahr.)
Betrachtet man etwa die KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts, dann wird schnell klar, dass Alarmmeldungen wie "Jedes Dritte Kind in Deutschland ist übergewichtig" (Familienministerin Ursula von der Leyen) übertrieben sind. 15 % der deutschen Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig, und 6 % adipös, also fettsüchtig. Außerdem ergibt sich aus der Studie, dass vor allem Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien und aus armen Haushalten für Übergewicht anfällig sind.
Die Abhängigkeit von sozialen Umfeld zeige, "dass Übergewicht kein Problem von einzelnen Menschen ist, die sich nicht beherrschen können", folgert Manfred Müller, Ernährungsmediziner an der Universität Kiel.
Interessant und wenig bekannt ist auch, dass zwar die Kinder in Deutschland seit den 1980er Jahren bis zur Jahrtausendwende immer dicker geworden sind, dass aber die Entwicklung seitdem stagniert und teilweise sogar rückläufig ist.

Es ist auch bekannt, welche Maßnahmen gegen kindliches Übergewicht wirklich helfen - und welche nicht. Der Stuttgarter Soziologe Michael Zwick plädiert aus der praktischen Erfahrung heraus für Gesundheitserziehung in Kindergarten und Schule, womit er aber keinen Ernährungsunterricht, in dem nur über die Gefahren ungesunden Essens aufgeklärt wird, meint. Stattdessen sollten die Kinder die Möglichkeit haben, in der Schule das Kochen zu üben. Eine wirkungsvolle Ernährungserziehung sollte unbedingt mit mehr Schulsport einhergehen.
Ein bescheidenes, aber pragmatisches Programm, um ein reales, aber nicht dramatisches Problem zu lösen.

Warum dominieren statt dessen aber Horrorzahlen und schneidig formulierte Programme die öffentliche Debatte?
Zwick ist der Ansicht, dass Politiker gerne mit überzogenen Zahlen hantieren, weil ihr Engagement nur honoriert wird, wenn es auch tatsächlich ein Problem gibt. Deutsche Verbraucherminister, aber auch EU-Minister, könnten sich sicher sein, dass Aktionen im "Kampf gegen die Fettleibigkeit" bei den Wählern gut ankommen.
"Auch Wissenschaftler können leicht dafür Forschungsgelder akquirieren, und Journalisten können sich durch dieses Top-Thema hervortun".

Wieso aber werden die schneidig formulierten Programme nur halbherzig umgesetzt? Zwick vermutet, dass Teile der Wirtschaft erheblich von der Fettleibigkeit profitieren: etwa die Diätmittelindustrie. Auch die Ernährungsindustrie, etwa die Zuckerindustrie, hat massive Interessen. Hersteller von Spielkonsolen, Kurkliniken, Hersteller von Zubehör für Übergewichtige - all diese Branchen wollen in Zukunft noch Geschäfte machen, indem sie entweder zum Zunehmen verführen oder beim Abnehmen zu helfen versuchen.
Hinzu käme, dass übermäßige Fettpolster ein Mittel der sozialen Unterscheidung geworden sind: es ist die "gute Figur", an der man Bessergestellte erkennt. Auch diese Gruppe hätte also kein Interesse daran, dass alle rank und schlank sind.
Ich sehe das ein ein klein wenig anders: es gibt das, auch von den Medien verbreitete, Klischee vom faulen, fetten Unterschichtler, der nicht nach "oben" kommt, weil er eben faul, träge und willensschwach ist. Wenn nun allgemein bekannt würde, dass Übergewicht kein Problem von einzelnen Menschen ist, die sich nicht beherrschen können, sondern sozial bedingt ist (je ärmer, desto ungesunder ernährt), dann wäre auch der Mythos vom Unterschichtler, der "selber Schuld" ist, und damit auch der vom fitten, schlanken und willensstarken Erfolgsmenschen gefährdet. (Selbstverständlich ist jede in gewisser Hinsicht für seine Ernährung selbst verantwortlich. "Verantwortlich sein" und "Schuld haben" sind zwei völlig verschiedene, aber gern absichtlich verwechselte Begriffe.)

Die Schäden haben die übergewichtigen Kinder. Sie werden stigmatisiert, gelten als dumm, faul und unsympathisch - auch bei Altersgenossen. Es ist kein gutes Zeichen, wenn gemäß der DONALD-Studie jeder dritte Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren nicht mehr mit "gesundem Appetit" isst, sondern Kalorien zählt und sich bei Tisch zügelt. Viele dieser jungen Menschen halten sich fälschlicherweise für zu dick: Magersucht als Folge politischer und medialer Aufgeregtheit über die "Fettsuchtepidemie bei Kindern".

Die Vermutung liegt nahe, dass auch bei anderen politisch oder medial hochgejazzten tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Problemen ähnliche Mechanismen am Werk sind.
Ein Problem wird hochgekocht, weil es sich für Politiker, wirtschaftliche Interessengruppen, interessierte Wissenschaftler und nicht zuletzt die Medien lohnt, es zu instrumentalisieren.
Es wird aber nicht gelöst, weil an dem Problem auch noch gut verdient wird.
Hinzu kommt - was im "Bild der Wissenschaft"-Artikel nicht weiter erläutert wird - dass die angestoßenen Präventionsprogramme, etwa gegen Fehlernährung, nicht etwa pragmatisch da ansetzen, wo sie am effektivsten Helfen (Kochunterricht in der Schule usw.), sondern grundsätzlich wird die "Schuld" auf den Einzelnen abgeladen. Bei Ernährungsprogrammen äußerst sich das in Bevormundung - etwas, was sich betroffene Eltern nachweislich ungern bieten lassen.
Wer Zweifel am Sinn der Präventionsmaßnahmen hegt, dem wird Angst gemacht. ("Die erste Generation, die vor ihren Eltern stirbt".)
Greift die Angstmache nicht, wird der Zweifler mit Hinweisen auf die Dringlichkeit des Problems zum Schweigen gebracht. Die dritte Stufe, nämlich dass der Kritiker selbst als "Gefährder" dargestellt wird, kommt beim Problem "kindliches Übergewicht" noch nicht zum Tragen. Bei anderen hochgekochten Problemen, wie dem der "Killerspiele", ist das schon gang und gebe.

Auch bei den "dicken Kindern" zeigt sich, dass präventive Logik ist expansiv ist: Wenn eine schneidig formulierte Präventionsmaßnahme nichts gefruchtet hat (vielleicht, weil sie gar nicht fruchten sollte), dann muss eben die nächste, noch drastischere Maßnahme nachgeschoben werden. Eine Vorbeugung mit konkreter Zielsetzung, wie sie im Falle "dicke Kinder" z. B. Zwick vorschlägt, wird hingegen vernachlässigt. (Es wäre ja auch zu schade, wenn sich das schöne Problem erledigen würde, und zwar ohne spektakuläre Großprogramme und Zwangsmaßnahmen, mit denen man sich so schön profilieren und ggf. so schön verdienen kann ... )

Horrorprognosen, egal, ob aus dem Bereich Gesundheit, Umwelt, Demographie, Kriminalität oder Wirtschaft, dienen, ab einem gewissen Schrecklichkeitsgrad, übrigens nicht der Aufklärung, sondern der Angstmache. Angst ist "politisch nützlich", denn wer Angst hat, wird passiv. Und ist damit gut beherrschbar.

Ein weiteres Problem ist, dass die Beschäftigung mit den hochgekochten Problemen Ressourcen bindet, die bei der Bewältigung echter Probleme, die aber nicht "in" sind, fehlen.

Donnerstag, 15. Januar 2009

Tröstliches für "Kaffee-Junkies"

Heute auf dem Wissenschaftsportal scinexx gefunden:
Wer drei bis fünf Tassen Kaffee am Tag trinkt, hat möglicherweise ein deutlich geringeres Risiko, an Alzheimer oder Demenz zu erkranken, als Menschen, die keinen oder sehr wenig Kaffee trinken. Das ergab eine schwedisch-finnische Langzeitstudie zu den Einflüssen von Koffein auf das zentrale Nervensystem.
Weiter: Kaffeetrinken senkt Demenzrisiko.
Wirkt übrigens ganz solide, im Gegensatz zu einer gewissen Studie zur halluzinogenen Wirkung von Koffein ...

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