Geschichte

Montag, 22. Februar 2010

"Gesunder" Nationalismus und "Hermann"

Ich weiß nicht mehr, von wem der Ausspruch war, es gäbe ebenso wenig einen gesunden Nationalismus wie es gesunden Krebs gäbe. So, wie es es gibt gutartige und bösartige Tumore gibt, gibt es auch vergleichsweise harmlose und mörderisch bösartige Formen des Nationalismus - aber "gesund" kann eine nationalistische Weltsicht meines Erachtens niemals sein. Warum?

Jeder Nationalismus - der durchaus etwas anderes ist, als die Zuneigung zur vertrauten Kultur und Sprache - also auch der "gesunde" Nationalismus, basiert darauf, dass eine "Wir"-Gruppe, etwas "Eigenes", eine Nation oder eine nationale Minderheit oder ein Volk, oder eine Volksgruppe konstruiert wird. Denn "kulturelle Indentität" ist immer "schmuddelig", "verschmiert", "gemischt". Klare Grenzen gibt es nur da, wo sie absichtlich gezogen wurden, und "ethnische Reinheit" nur da, wo "etnisch gesäubert" wurde (also: zwangsumgesiedelt, zwangsbekehrt usw. wurde - oder schlicht und brutal: massenhaft die "nicht passenden" ermordet wurden).

Dieser Konstruktion des Eigenen ist auf die Beschwörungen des Anderen angewiesen, des "Fremden" - besonders wirksam ist der "nationale Zusammenhalt", wenn der "Fremde" ein "Feind" ist.

Vor gut einem Jahr schrob ich drüben auf den Seiten von "Nornirs Ætt":
Arminius ist nicht „Hermann“
.
Mir war schon klar, dass nicht erst seit den "Befreiungskriegen" gegen Napoleons, also der Zeit, in der Heinrich von Kleist sein Propagandastück "Hermannschlacht" verfasste, der Kampf der (sich bestimmt nicht als "Germanen" fühlenden) Cherusker unter Arminius gegen die Römer im Sinne des nationalistischen Feindbildkonstrukts instrumentalisiert wurde. Ich kannte ja schließlich auch z. B. Ulrich von Huttens und Martin Luthers Ansichten zu "Hermann", den "alten Deutschen" und "Rom".

Trotzdem war ich über Johann Elias Schlegels Drama "Hermann. Ein Trauerspiel", erschienen 1743, also zu einer Zeit, in der von einem deutschen Nationalstaat keine Rede sein konnte, und in des es, so dachte ich bisher, keinen "nationalen Feind" gab, überrascht:
"Wer Rom nicht hassen kann, kann nicht die Deutschen lieben. / Was theilest du dein Herz? Sey Treu mit ganzen Trieben: / Sey römisch oder deutsch! Itzt wähle deinen Freund: / Rom, oder deinem Volk sey günstig oder feind."
Das geht im Grunde über die "Nationalpropaganda" Kleists und seiner Zeitgenossen hinaus - denn das Motiv der "Zweckpropaganda" fehlt.

Es ist also offensichtlich so, dass eine deutsche nationale Identität schon zu einer Zeit, in der es "objektiv", von der politischen und gesellschaftlichen Situation her, anscheinend keinen Grund für so ein Konstrukt gegeben haben kann, durch einen ausschließenden Gegensatz zu einem "Erzfeind" konstruiert wurde.
Mir ist nicht klar, was Schlegels Motive waren. Klar ist, dass er an den "antirömischen Affekt" der Reformationszeit (immerhin 200 Jahre früher!) anschloss - und der war antikatholisch motiviert. Also nicht im späteren Sinne "kulturnationalistisch".

Offenbar konnte schon ein Dichter des Rokkoko sich "deutsche kulturelle Identität" nicht ohne "Feindbildkonstrukt" vorstellen. Vielleicht liegt es an dieser Tradition, dass der deutsche Nationalismus sich immer wieder als besonders bösartig erwiesen hat.

Donnerstag, 4. Februar 2010

"What shall we do with a drunken sailor?" - Vom Ursprung eines Klischees

Vor einige Monaten, da ging ich der Frage nach, woher denn das Klischee des Piraten mit der Augenklappe her käme.
Woher das Klischee des rumsaufenden und Rum saufenden alten Seebären kommt, ist vergleichsweise naheliegend. Es gab, vor allem in der britischen Royal Navy, eine Praxis, die geradezu epidemische Alkholholabhängigkeit unter befahrenen Teerjacken und Salzhäuten hervorgerufen haben musste: Die tägliche Grogration. "Grog" steht dabei für "mit Wasser verdünnter Rum".
Bis 1970 (!) wurde in der britischen Marine an jeden Mann über 20, der nicht unter einer Disziplinarstrafe stand, jeden Tag eine Grogration ausgegeben, die 1/8 pint Rum enthielt. "Navy Rum" (es gibt ihn noch heute, aber nicht mehr als Schnapsration) ist 95.5 proof, das heißt, er enthält 47,75 % Alkohol. Ein "Imperial pint" sind 0,570 Liter, die Rumration betrug also rund 0,07 Liter. Ich habe hier einmal ein achtel Pint Rum abgemessen und in ein Whiskyglas gegeben - das ist schon ein kräftiger Schluck:
Ration
Ein Whiskyglas fasst, bis zum Rand eingeschenkt, 10 fluid ounces, also 1/2 pint. Da das abgebildete Glas (ein "Tumbler") eigentlich für amerikanischen Bourbon bestimmt ist, und das US Pint kleiner ist als das britische ("Imperial") Pint (1 US liquid pint = 0,473 l ), ist das Glas zu mehr als einem Viertel gefüllt.

Nun ist diese tägliche Alkoholmenge für einen erwachsenen, kräftigen, gesunden Mann durchaus verkraftbar (ob sie noch gesund ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt). Aber In der Zeit der hölzernen Segelschiffe, in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, war die Rumration doppelt so hoch - bis 1850 wurde in der Royal Navy taglich 1/4 Pint Rum pro Tag ausgegeben.
Noch höher war sie zu Zeiten Admiral Vernons (genannt "Old Grogham", daher "Grog"), der 1740 auf den ihm unterstehenden Schiffen die Regel einführte, dass die Rumration nur noch im Verhältnis 1 : 2 mit Wasser verdünnt ausgegeben werden sollte. Zu dieser Zeit gab es noch zwei tägliche Rationsausgaben, vormittags und abends, so dass ein Seemann auf eine tägliche Ration von 1/2 Pint Rum kam. Zwar konnte statt Grog auch ein Pint Wein oder Bier ausgegeben werden, aber die tägliche Alkoholmenge war in etwa gleich. An Feiertagen gab es eine Extraration.

Im allgemeinen sahen die Kapitäne der Royal Navy den Alkoholkonsum ihrer Untergebenen pragmatisch, solange die Disziplin nicht gefährdet war. Ein bezeichnendes Beispiel:
Sir Joseph Banks, der als Wissenschaftler an James Cooks erster Weltumseglung teilnahm, notierte am 25. Dezember 1768 in sein Tagebuch:
Christmas day; all good Christians that is to say all hands get abominably drunk so that at night there was scarce a sober man in the ship, wind thank god very moderate or the lord knows what would have become of us.
("Weihnachtstag; alle guten Christen, will sagen, alle Besatzungsmitglieder betranken sich fürchterlich, so dass es am Abend kaum noch einen nüchternen Mann auf dem Schiff gab, Wind Gott sei dank sehr mäßig, was sonst aus uns geworden wäre, weiß nur der Herr.")
Im Kontrast dazu James Cooks Logbucheintragung vom 26. Dezember:
(...) yesterday being Christmas day the people were none of the Soberest .
( ... da gestern Weihnachten war, waren die Leute nicht die Nüchternsten.)
Da das Expeditionsschiff HM Bark "Endeavour" auf See von einer sehr kleinen Mannschaft gesegelt werden konnte, dürften Banks Befürchtungen unbegründet und Cooks Gelassenheit angemessen gewesen sein. Es war keineswegs so, dass jeder Seemann ein starker Trinker gewesen wäre. Ein regelmäßiges Problem war, dass die Nicht-Trinker ihre Ration bei trinkfreudigen Kameraden gegen andere Dinge (Tabak, Kleidung, Süßigkeiten usw.) eintauschten, die dann wegen der Extraportion Rum zu voll zum Arbeiten waren. Auch für Todesfälle durch Trunkenheit gibt es Beispiele von Cooks erster Weltumseglung: ein Bootsmannsmaat trank sich mit eingetauschtem Rum buchstäblich zu Tode, zuvor waren auf Feuerland zwei persönliche Diener Banks schwer alkoholisiert an Unterkühlung gestorben, nachdem sie sie in Banks Abwesenheit den gesamten Rumvorrat des Landetrupps ausgetrunken hatten.

Warum wurde auf Schiffen Alkohol ausgeschenkt? Einer der Gründe liegt darin, dass sich auf See alkoholhaltige Getränke besser hielten als das in Fässer gelagerte Trinkwasser. Das Wasser schmeckte schon bald abgestanden, und in tropischen Gewässern verwandelte es sich nach einige Wochen auf See in eine faulig-grünliche Algensuppe. Deshalb wurde ein Teil des Trinkwassers in Form von Dünnbier mitgeführt, auch Starkbier und Wein gehörten zum Proviant. Nach der Eroberung von Jamaika im Jahr 1655 stand mit dem aus Zuckerrohr gewonnenem Rum eine ziemlich hochwertige und dabei im Vergleich zu Wiskey oder Brandy preiswerte Spirituose zur Verfügung - weshalb statt Bier oder Wein immer öfter der "platzsparend" stärkere Rum ausgeschenkt wurde. Damit verstärkten sich auch die alkoholbedingten Disziplinprobleme.
Auf Handelsschiffen gab es zwar keine täglichen Grogrationen, jedoch gehörten wegen der besseren Haltbarkeit alkoholische Getränke zum normalen Proviant. Es ist bezeichnend, dass es ernstzunehmende Bemühungen, die Grogration abzuschaffen oder wenigstens zu kürzen, erst ab etwa 1830 gab, als fäulnissichere Trinkwassertanks eingeführt worden waren. In dieser Zeit wurde der Alkoholismus von Seeleuten und ehemaligen Seeleuten auch nicht mehr nur als moralisches, sondern auch als soziales Problem begriffen.
Ebenfalls aus dieser Zeit stammt der bekannteste Shanty der das Alkohol-Problem an Bord thematisiert:

Wie bei echten Volksliedern üblich gibt es unterschiedliche Textfassungen. Die Titelzeile lautet in den meisten Fassungen, die ich fand, "What Shall We Do with a Drunken Sailor?" oder "What Shall We Do with the Drunken Sailor?", auch "What to do with a Drunken Sailor?" und, wie oben, "What Will We Do with a Drunken Sailor?" kommen vor.

Der Text erschien erstmals 1839 in Olmsteads "Incidents of a Whaling Voyage", die Melodie lehnt sich an das irische Volkslied "Oró Sé do Bheatha" an und wurde 1824–25 in "Cole's Selection of Favourite Cotillion" veröffentlicht.

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Zum guten Schluß: Brachten Elefanten die Grönländer in Bedrängnis?

Nein, ich habe weder zu viel Grog gesüffelt, noch handelt es sich um eine besonders verschrobene Verschwörungstheorie.

Auf Mediavalnews fand ich diesen netten Artikel: Did Elephants doom the Norse in Greenland?.

Der Artikel setzt sich mit der Hypothese auseinander, dass die normannische Siedlungen im mittelalterlichen Grönland durch den Zusammenbruch des Handels mit Walross-Stoßzähnen wirtschaftlich ruiniert geworden wären. Elfenbein aus Elefanten-Stoßzähnen wäre in späten Mittelalter für die Kunsthandwerker Europas einfacher zu bekommen und damit preiswerter als das im Hochmittelalter vorwiegend verwendete Walross-Elfenbein gewesen.

In ihren Artikel "Desirable teeth: the medieval trade in Arctic and African ivory" kritisiert Kirsten Seaver diese Idee, und stellt ihre eigene Hypothese für das rätselhaften Verschwinden der skandinavischen Siedlungen Grönlands während des 15. Jahrhunderts vor.

Dienstag, 24. November 2009

Das folgenschwerste aller Biologie-Bücher

Heute ist der 150. Jahrestag der Veröffentlichung des bahnbrechenden Buches "On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life" von Charles Darwin.
"Die Entstehung der Arten", wie der Band in der deutschen Übersetzung heißt, erschien am 24. November 1859 mit einer Auflage von zunächst nur 1500 Exemplaren - die im Nu vergriffen waren.
Es gab die erste wissenschaftlich überzeugende Antwort auf eine der großen Menschheitsfragen: Warum gibt es Pflanzen, Tiere und Menschen? Wie lassen sich ihre Eigenschaften auf natürliche Weise erklären? Damit wurden einige der auffälligsten und zugleich rätselhaftesten Phänomene der Natur, die sich der biologischen Forschung über Jahrhunderte hinweg hartnäckig entzogen hatten, wissenschaftlich verstehbar.
Darwin-Jahr.de: Die Darwinsche Revolution.

Auch auf Darwin-Jahr.de fand ich einen Buchtipp für ein Buch, dass ich unbedingt lesen muss:
Darwin und die Götter der Scheibenwelt von Terry Pratchet.

Sehenswert zum Jubiläum: Darwin und kein Ende - Darwins Korallen auf dctp.tv.

Freitag, 30. Oktober 2009

Die Piraten, die alten Seeleute und Augenklappen

Noch knapp 28 Stunden - dann schreibe ich den ersten Satz meines NaNoWriMo-Projektes, aus dem hoffentlich der Roman "Brüder der Küste" wird.

Im Zuge meiner Recherchen stolperte ich immer wieder über "klassische" Piratenklischees. Einige sind freie Erfindungen mehr oder weniger phantasiebegabter Schreiber ("Arrrrr!"), andere, wie der Hang zur aufwendigen Kleidung und zum Tragen von auffälligem Schmuck, sind von Chronisten des "goldenen" oder eigentlich "blutigen" Zeitalters der Piraterie um 1700 überliefert. Dann gibt es seltene, aber interessante Einzelfälle, die von Seemannsgarn spinnenden Seeleuten und später von Abenteuerschriftstellern so oft aufgegriffen würden, dass man sie später irrtümlich für typisch hielt. Nur sehr wenige Seeräuber vergruben ihre Schätze - aber seit der "Schatzinsel" gehört die Schatzkarte mit dem großen "X" und die mit Gold- und Silbermünzen gefüllte Truhe zum Piratenbild einfach dazu. Interessant dabei ist, dass Stevenson ja schreib, was Piraten überlicherweise mit ihrem Beuteanteil machten: sehr schnell ausgeben. Andere Piraten, auch das erwähnt Stevenson, trugen die erbeuteten Piaster zur Bank oder legten das Geld anderweitig an. (Long John Silver hat einige gut gepolsterte Konten und eine gut gehende Hafenkneipe.)

Augenklappe, Holzbein und Hakenhand, der Papagei und die Vorliebe für Rum sind hingegen Seemannsklischees aus der Zeit der Segelschiffe bzw. zum Klischee gewordenen Vorstellungen, wie eine "typische" alte Salzhaut, ein altgedienter Seebär, aussehen könnte. Später überlebten diese Klischees in der Abenteuerliteratur.

Das wichtigste "Piratenmerkmal" ist die Augenklappe. Tatsächlich waren relativ viele Seeleute auf einem Auge blind.
Bei vielen von ihnen war das die Folge einer Kriegsverletzung.
Wenn eine Kanonenkugel auf ein hölzernes Schiff traf, führte der Einschlag zu einem dichten Hagel an kleinen und größeren Holzsplittern. Die verheerende Splitterwirkung von Kanonentreffern auf hölzernen Schiffen wird in den meisten Piraten- und Seekriegs-Filmen viel zu harmlos dargestellt. Der einzige Film, in dem wirklich überzeugend gezeigt wird, wie sich solide hölzerne Bordwände, Masten und Spieren sich unter Kanonentreffern regelrecht in Wolken aus scharfkantigen Holzsplittern auflösen, und der auch einen Eindruck davon gibt, welche Wunden diese Splitter verursachen, ist Master and Commander. Schon ein winziger Splitter kann ein getroffenes Auge zerstören. Das prominenteste Opfer eines Splitters war Admiral Lord Horatio Nelson, der im Gefecht vor Korsika 1793 am rechten Auge verwundet wurde, und durch eine Entzündung die Sehkraft auf diesem Auge verlor. (Allerdings trug Nelson auf dem blinden Auge keine Augenklappe).

So relativ häufig Augenverwundungen auch waren: Das Klischee des Seemanns mit Augenklappe stammt wahrscheinlich aus einer älteren Zeit und hat nichts mit Gefechten auf See zu tun.
jakobsstabAnwendungen des Jakobsstabs in Astronomie und Landvermessung, Stich aus dem 16. Jahrhundert.

Bei den vor 1600 gebräuchlichen Navigationsinstrumenten, vor allem dem Jakobsstab, maß man den Stand der Sonne über dem Horizont, indem man direkt in das gleißende Licht schaute, wobei allenfalls mit Ruß eingedunkelte Augengläser nur begrenzten Schutz boten. Einige Jahre derartige Beobachtungen konnte das Augenlicht ruinieren - aber die Beobachtungen mussten gemacht werden. Unter zwanzig alten Kapitänen soll es nicht einen gegeben haben, der nicht auf einem Auge blind war, da er, um seinen Weg zu finden, jeden Tag in die Sonne starren musste.

Aber schon In der "großen Zeit" der Freibeuter in der Karibik im 17. Jahrhundert war diese Berufskrankheit der Navigatoren vermeidbar. Der englische Navigator und Entdeckungsreisende John Davis erfand 1595 den Backstaff, auch Back-Quadrant oder nach seinem Erfinder Davis-Quadrant genannt. Bei diesem Instrument steht der Navigator mit dem Rücken zur Sonne und riskiert nicht mehr sein Augenlicht. Der Winkel zwischen Sonne und Horizont wird indirekt, mittels eines Schattenwerfers (G) bestimmt.
backstaff
Davis-Quadrant, Darstellung aus der Zeit um 1600.

Außerdem war der Davis-Quadrant noch erheblich genauer als der Jakobsstab, weshalb er, zumindest auf Seeschiffen, schon bald den Jakobsstab ablöste.
Ab 1740 löste der noch exaktere von Newton und Hadley erfundene Spiegel-Oktant den Davis-Quadranten ab. Der Oktant wurde im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zum noch heute gebräuchlichen Sextanten weiterentwickelt. Ein Vorteil des Sextanten: Wird er während der Messung nicht völlig ruhig gehalten, so schwankt das Bild des Horizont und das des Gestirns gemeinsam im Gesichtsfeld hin und her, so dass eine zweifelsfreie Überlagerung beider Ziele und damit eine korrekte Messung mit etwas Geschick trotzdem möglich ist. Der Sextant liefert daher auch in der freien Hand auf einem schwankenden Schiffsdeck gehalten genaue Ergebnisse. (Wer wissen will, wie man mit sich mit einem Sextanten auf See zurechtfindet: Volkers Crashkurs-Astronavigation.)
Der Nachteil , dass der Navigator beim Gebrauch eines Sextanten wieder direkt in die Sonne sehen muss, wird durch einklappbare Filtergläser (auch "Schattengläser" genannt) ausgeglichen. Ab dem 18. Jahrhundert konnten ausreichend dunkle und dabei verzerrungsfreie Filtergläser hergestellt werden, mit denen eine gefahrlose Sonnenbeobachtung möglich wurde.

Wenig ist meines Erachtens von einer Hypothese zu halten, die es immerhin in die deutsche "Wikipedia" schaffte (Augenklappe). Piraten sollen Augenklappen genutzt haben, um die Dunkelanpassung eines Auges für die Nacht zu trainieren. Indem sie ein Auge auch tagsüber im Dunkeln hielten, hätten sie geglaubt, bei Dunkelheit besser sehen zu können.
Tatsächlich kann durch das Tragen dunkler Brillen in beleuchteten Innenräumen die Dunkelanpassung, wenn man ins Dunkle tritt und die Brille abnimmt, beschleunigt werden - oder umgekehrt erleichtern Sonnenbrillen die schnelle Anpassung an dunkle Innenräume.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Braune Flecken im Biogarten

Es gab mal eine Zeit, da hatte die "Öko-Szene" ziemlich ausgeprägte braune Ränder. Das ist so ungefähr 30 Jahre her.
Das mediale Geraune über angeblich kackbraunen Kameraden bei den Piraten erinnert mich an Baldur Springmann, der die Grünen mitgegründet hat.
Piraten und Nazis: Burks' Blog.
Springmanns Drall ins Rechtsextreme war meiner Ansicht nach noch ausgeprägter, als es aus dem "Wikipedia"-Artikel hervorgeht. Bis in den Tod, wie diese Todesanzeige von "Rassen-Jürgen" Riegers "Artgemeinschaft" zeigt:
Springmann
Für die "GRÜNEN" damals war der reale parteipolitische Schaden durch den "Braun-Grünen" Springmann eher gering: Springmann verließ die seiner Ansicht von Linken durchsetzte "GRÜNEN" im Streit und gründete 1982 gemeinsam mit Herbert Gruhl die ursprünglich erzkonservative Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die er 1989, ebenfalls im Streit, verließ. Aus den "GRÜNEN" hätte, angesichts der damals noch unaufgearbeiteten "deutschvölkischen" Traditionen im Naturschutz, öko-autoritärer Apokalyptiker wie Gruhl und der Unterwanderungsversuche durch Neonazis, eine rechtslastige Öko-Partei werden können - dass sie es nicht wurde, spricht für die demokratische Reife der frühen "GRÜNEN".
Die Außenwirkung Springmanns um 1980 war weitaus größer, als seine politische Bedeutung für die "GRÜNEN". Springmann war "journalistisch interessant", und zwar bis in die Boulevardpresse: schon optisch gab der Ökobauer mit weißem Haar und Vollbart, der gerne bunte Bauernkittel trug, einiges her. Er war exzentrisch genug, um interessant zu sein, aber hinreichend konservativ, um nicht als "weltfremder Spinner" abgetan zu werden. Dass das, was er "Naturreligiosität" nannte, rechte Esoterik mit deutlich ariosophischen Einschlag war, wurde einfach nicht erkannt oder übersehen. Selbst dass er neben dem bäuerlichen Leben und der Abwendung vom "Wachstumswahn"auch "die Liebe zum Deutschtum" und "Widerstand gegen die geplante Abschaffung des deutschen Volkes" propagierte, thematisierten und kritisierten damals nur wenige, unter ihnen der linke Grün-Alternative und "GRÜNEN"-Mitgründer Rainer Trampert.
Als größter "braune Fleck" auf der grünen Weste wurde damals allerdings August Haußleiter wahrgenommen, immerhin einer der drei gleichberechtigten Vorsitzenden / Sprecher der "GRÜNEN". 1980 trat er als Sprecher der "GRÜNEN" zurück, weil seine Vergangenheit bekannt wurde: als rechter Kleinstparteien-Führer (AUD), der 1965 über ein Wahlbündnis mit der NPD verhandelte, als Kriegsberichterstatter im 2. Weltkrieg Hasspropaganda verfasste und 1952 die Nürnberger Prozesse und die Entnazifizierung als "das dümmste und infamste aller Strafgerichte" schmähte und den Alliierten vorwarf, die Konzentrationslager weiter zu benutzen. Springmann gelang es im Gegensatz dazu, seine NS-Vergangenheit (Stahlhelm, "Schwarze Reichswehr", SA-Mitglied, SS-Mitglied, Mitglied der NSDAP, als Marineoffizier "NS-Führungsoffizier") zu verschleiern, wobei es ihm zugute kam, dass er nicht wie ein "typischer" Altnazi redete und handelte.

In ihrem Aufsatz Grün-braune Liebe zur Natur (PDF) kritisieren Peter Bierl und Clemens Heni, dass es zwar es eine ideologiekritische Forschung zur Geschichte des Naturschutzes gäbe, welche sich mit der braunen Tradition des Umweltschutzes beschäftigt, der im Kaiserreich als Heimatschutz und völkische Lebensreformbewegung begonnen hatte, aber dass die Aktivitäten ehemaliger NSDAP-Mitglieder wie Baldur Springmann und Werner Vogel oder des neu-rechten Propagandisten Henning Eichberg bei der Gründung der Grünen "in Vergessenheit" geraten seien.
Meiner Ansicht sind die "braunen Flecken" nicht übersehen oder vergessen worden. Die unbequeme Erkenntnis, wie sehr Naturschutz und Öko-Landwirtschaft in Deutschland mit Nazi-Ideologie verwoben sind, wurde einfach verdrängt. Oder verzerrt und verklärt, wie es bis heute im Tierschutz geschieht: Tierfreundliche Nazis?
Es gab einen "grünen" Flügel der NSDAP. Landwirtschaftsminister Rudolf Walther Darré kooperierte mit Demeter, Weleda und den anthroposophischen, biologisch-dynamischen Landwirten - im augenscheinlichen Widerspruch zu der Tatsache, dass die "Anthroposophische Gesellschaft" in Nazideutschland ab 1935 verboten war. Offenbar wurden die Anthroposophen von den Nazis als weltanschauliche Konkurrenz bekämpft, während Teile ihre Lehre "NS-kompatibel" waren. Hinzu kam, dass einige Anthroposophen sich offensiv an die NS-Führung anbiederten.
Einen "harten Kern" der "grünen Nazis" bildeten die in der NS-"Bewegung" aufgegangenen Artamanen. Sie verbanden den völkisches Okkultismus der Ariosophie mit der Naturschwärmerei der Lebensreform, Ideen der Naturschutzbewegung und dem Kulturpessimismus Oswald Sprenglers („Der Untergang des Abendlandes“). Die Artamanen verfolgten eine stramm agroromantische Zielsetzung, verherrlichten die Bauern als die einzigen "organischen Menschen" und predigten die Abkehr von der "internationalen Asphaltkultur der Großstädte". Sie verabscheuten die westliche "Zuvielisation" und träumten von einem naturverbundenen Leben ohne Industrie. Das Mittel zu diesem "sanften" Zweck war brutale Gewalt bis zum Völkermord: "Lebensraum" sollte im Osten erobert werden, damit das deutsche Volk wieder zur Scholle zurückkehren könne.
Der ehemalige bayrische Gauleiter der Artamanen, "Reichsführer SS" Heinrich Himmler, betrachtete "seine" SS als legitime Erbin der Artamanen. Er übernahm nicht nur die Uniform, das "Artamanenschwarz", sondern auch die Weltanschauung, allerdings ergänzt um einen zynischen Opportunismus und ohne die ursprüngliche Technikfeindlichkeit. Der "Reichsführer SS" war und blieb bis zu seinem Selbstmord 1945 – übrigens anders als Hitler – ein in der Wolle gefärbter Okkultist ariosophischer Prägung. Wohl auch deshalb war er ein Förderer und Gönner der mit einen ziemlich mächtigen esoterischen Überbau versehenen biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Ein anderer "Nazi-Esoteriker", dessen Einfluss dafür sorgte, dass die Methoden des biologisch-dynamischen Landbaus in der NS-Zeit, anders als andere Lehren der Antroposophen, nicht nur nicht unterdrückt wurden, sondern zumindest von völkisch-mystisch orientierten Nazis als Teil ihrer Ideologie begriffen wurden, war der "Stellvertreter des Führers" der NSDAP, Rudolf Hess.
Zugleich Nutznießer wie Förderer der Vorliebe ranghoher Nazis für biologisch-dynamischen Landbau und Gärtnerei, und von zentraler Bedeutung für den Naturschutz im NS war der Gartenarchitekt Alwin Seifert. Seifert war seit 1934 als "Reichslandschaftsanwalt" an der Gestaltung der neuen Autobahnen beteiligt, vorzugsweise mit ihrer Begrünung mit heimischen Gehölzen. Ein interessanter Artikel aus der "Times online", der von der traditionellen britischen Skepsis gegen deutschen Naturmystizismus profitiert: German organic gardening guru Alwin Seifert took tips from Dachau experiments. Die Behauptung der "Times", er wäre für die "kurvige", in die Landschaft eingepasste Streckenführung der Reichsautobahnen verantwortlich gewesen, dürfte zwar Legende sein: die Autobahnen wurden so trassiert, dass die Erdbewegung möglichst gering war. Was allerdings ohne Zweifel stimmt: Seifert war mitverantwortlich für den Kräutergarten der SS im KZ Dachau (ein Lieblingsprojekt Himmlers), wo viele Häftlingen aufgrund der Arbeitsbedingungen starben, während die SS biologisch-dynamische Anbaumethoden testete. Wahrscheinlich gingen in sein Buch "Gärtnern, Ackern – ohne Gift", bis heute ein Klassiker der ökologischen Landwirtschaft, auch Erfahrungen aus dem Kräutergarten von Dachau ein.
Seifert, in der NS-Zeit eifriger Antisemit und "völkischer" Denker, schaffte es trotzdem das Entnazifizierungsverfahren als "Mitläufer" abzuschließen. 1950 wurde Seifert Professor und 1954/55 Ordinarius für Landschaftspflege, Straßen- und Wasserbau an der Technischen Hochschule in München und war jahrelang Vorsitzender des Bundes Naturschutz. 1958 bis 1963 war er Bundesleiter des Bund Naturschutz in Bayern, einer Vorläuferorganisation des BUND. Seifert war 1961 einer der 16 Unterzeichner der "Grünen Charta von der Mainau", die vom Grafen Lennart Bernadotte initiiert und von Bundespräsident Lübke gleich vor Ort verkündet wurde. 1961 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz.

In seiner Rede Naturschutz und Nationalsozialismus (2002) setzte sich der damalige Bundesumweltminister Jürger Trittin (GRÜNE / Bündnis 90) mit der kackbraunen Erblast für den Naturschutz auseinander. Er sprach dabei etwas aus, was jahrzehntelang jedem Kenner des bis 1976 gültigen "Reichsnaturschutzgesetz" klar gewesen sein müsste, aber ob des "vorbildlichen Charakter" dieses Gesetzes in Natur- und Umweltschützerkreisen verdrängt wurde: Das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 war ein Gesetz der Nationalsozialisten, und das nicht nur, weil es auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes handstreichartig verabschiedet wurde, sondern auch von seiner Ausrichtung. Trittin ging auch auf die zwiespältige Rolle Seiferts ein.

Um 1980 herum wäre diese kritische Haltung in der Umweltbewegung wahrscheinlich eine Außenseiterposition, wie die des "Grün-Alternativen" Tramperts, gewesen. Und mit noch größerer Wahrscheinlichkeit wäre die ihr zugrunde liegende Erkenntnisse von politischen Gegnern der "GRÜNEN" und der politischen Umweltbewegung benutzt worden, die "Ökospinner" in die "braune Ecke" zu stellen. In die sie dann doch, trotz einiger "brauner Ränder", ganz und gar nicht gehörte.

Freitag, 25. September 2009

Hanseatische Kirchturmpolitik

Ich schließe mich locker an einen Beitrag an, den Che2001 vor einigen Wochen schrieb: Die Sonderrenaissance
Darin heißt es, unter anderem:
In Deutschland hielt sich der gotische Stil länger als in Frankreich oder Italien, dafür prägten sich hier Sondergotiken aus, die eigentlich mit Materialmangel zu tun hatten: Die Backsteingotik, die von den Niederlanden bis Estland die Küstenstädte von Nord- und Ostsee mit ziegelroten Kathedralen verzierte, und die Reduktionsgotik in Bayern und Baden-Württemberg mit ihren Hallenkirchen.
Ein besonders imposantes Ensemble mächtiger backsteingotischer Kirchtürme ist die "Stadtkrone" der "König der Hanse" - die Sieben Türme Lübecks. Es sind die Türme der fünf lübischen Hauptkirchen: St. Jakobi, St. Marien (Doppelturm), St. Petri, St. Aegidien und der Lübecker Dom (Doppelturm).
Luebeck-1641-Merian Stadtansicht Lübecks aus dem Jahre 1641, Kupferstich aus der Werkstatt Merian.

Tatsächlich spiegeln sich sowohl die norddeutsche Mentalität wie die politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse der Hansestädte in der Backsteingotik wieder. Che schrob:
Auch vor der Reformation stand der Roland mit Schwert und Schild auf dem Markt, um die Kirche in ihre Schranken zu weisen. Herzöge, Handwerkszünfte und Kaufmannsgilden, nicht geistliche Herren waren groß zwischen Ems, Oder, Küste und Harz.
Folglich war schon der Reformation ein wichtiger Faktor beim Bau vieler Kirchen das bürgerliche Repräsentationsbedürfnis. Ganz besonders deutlich wird das bei der 1350 vollendeten Lübecker Marienkirche. Ihr Hauptschiff ist das höchste Backsteingewölbe der Welt (38,5 Meter im Mittelschiff), ihre Türme sind 124,95 Meter und 124,75 Meter hoch - damit waren sie bis zur Vollendung des Kölner Doms 1880 die höchste Doppelturmfassade der Erde.

Vorgängerbau war eine 1156 geweihte romanische Backsteinkirche. Mit dem Aufstieg Lübecks zur wirtschaftlichen Metropole des westlichen Ostseeraums genügte diese eher bescheidene Kirche den Ansprüchen des selbstbewussten, wirtschaftlich stark aufstrebenden Bürgertums nicht mehr.
Der Ansporn für den gewaltigen backsteingotischen Neubau lag in der erbitterten Auseinandersetzung zwischen dem Rat der Stadt Lübeck und dem Bistum Lübeck. Die Marienkirche sollte ein Denkmal des Reichtums der Fernkaufleute und der politischen Macht der seit 1226 reichsfreien Stadt sein und den romanischen Lübecker Dom buchstäblich in den Schatten stellen. (Selbst der später errichtete, ebenfalls backsteingotische, heutige Lübecker Dom ist kleiner als die Marienkirche.) Für den Bau der Marienkirche musste architektonisches Neuland begangen werden, denn zuvor hatte man keine Kirche aus Backstein so hoch gebaut und mit einem Gewölbe versehen. Ein System aus Stützen lenkt die Schubkräfte des Gewölbes nach außen über ein Strebewerk ab und ermöglicht so die enorme Höhe.
Lübeck als einst reichste und einflussreichste Stadt der Hanse hat eine besonders imposanteste Silhouette, allerdings erkennt man auch heute viele ehemals reiche Kaufmannstädte des Nordens an ihren "Stadtkronen", den vier-, fünf-, sieben oder noch mehr hohen Türmen auf dem engen Raum der Innenstädte.

Die Türme der Marienkirche waren bei weitem nicht die höchsten Kirchtürme, die die reichen Bürger nordeuropäischer Handelsmetropolen errichten ließen. Der höchste backsteingotische Kirchturm, der je errichtet wurde, war der um 1500 in Reval (heute Tallinn) in Estland vollendete 158 m hohe Turm der Olafskirche. Nachdem 1549 der mit fast 160 m ein klein wenig höhere Turm der Kathedrale von Lincoln eingestürzt war, war er, bis er 1625 durch einen Blitzschlag in Brand geriet, das höchste Gebäude der Welt. Der neue Turm war mit 123,7 m zwar viel kleiner, aber immer noch imposant.
Ab 1625 war dann der bisher zweithöchste backsteingotische Kirchturm, der 1485 errichtete Turm der Marienkirche von Stralsund mit 151 m Höhe höchstes Bauwerk der Erde. Der gotische Spitzhelm, Kupferplatten auf einem Holzgerüst, wurde 1647 ebenfalls durch Blitzschlag zerstört und 1708 durch eine Barockhaube ersetzt, die dem Turm die heutige Höhe von 104 m gibt.
Es ist kein Zufall, dass die höchsten Türme der Backsteingotik in Hafenstädten standen, denn das "Know How" zum Bau großer und stabiler Holzkonstruktionen stammt aus dem Schiffbau.

Aber auch nach der Reformation endete nicht die Epoche der "hanseatischen Kirchturmpolitik". Nach dem Niedergang der Städtehanse und den Aufschwung des Überseehandels wurde die "Schwesterstadt" Lübecks, Hamburg, im 16. und 17. Jahrhundert die reichste Stadt des norddeutschen Raums. In Hamburg wurde 1516 der 132 m hohen Turm der Petrikirche vollendet, einer der höchsten und letzten "rein" backsteingotischen Türme. Der mit 153 m noch höhere Turm von St. Nikolai in Hamburg, vollendet 1517, hatte schon einige Renaissance-Merkmale. 1589 brannte dieser Turm ab.
Nun wurden Hamburg die höchsten Barockkirchtürme der Erde errichtet. Die Technik war im wesentlichen die Selbe wie bei den älteren gotischen Bauten - massive Untertürme aus Backstein, auf denen hohe kupferbekleidete hölzerne Turmhelme errichtet wurde. Damit waren die Barocktürme aber genau so feuergefährdet wie die die Türme der Backsteingotik. Der erste dieser Türme, der neu errichtete Turm der Nikolaikirche, stürzte 1644 allerdings nach einem starken Sturm ein. Der nächste Turm der Nikolaikirche war "nur" 122 Meter hoch, aber galt mit seinen charakteristischen Kuppeln als Wahrzeichen der Stadt und besonderer Schmuck ihrer Silhouette. Am 6. August 1767 wurde der Turm durch einen Blitzschlag schwer beschädigt, aber wieder aufgebaut.
Der 1687 errichtet barocke Turm der St. Micheliskirche, der fünften
Hauptkirche Hamburgs, wurde am 10. März 1750 durch Blitzschlag zerstört. Der Neubau, die kurz "Michel" genannten größte Kirche Hamburgs, wurde 1786 vollendet, ihr Turm war (und blieb) mit 132 m der höchste barocke Kirchturm der Erde.
HH-Kirchtürme
Hamburger Innenstadt, von der Elbe aus gesehen. Zu sehen sind gleich vier der höchsten Kirchtürme der Welt.

Wie in Lübeck gab es in Hamburg Spannungen zwischen der bürgerlichen Regierung und dem bischöflichen Domherren, und anders als in Lübeck hielt der Konflikt auch nach der Reformation an. Der mächtige backsteingotische Dom bildete nämlich seit dem Bremer Vergleich von 1561 eine Enklave in Hamburg, die auswärtigen Mächten unterstand. Solange das bis 1648 der lutherische Erzbischof-Administrator von Bremen war, waren die Spannungen noch überbrückbar. Seit dem Westfälischen Frieden ging der Dom, wie das Erzstift Bremen, zuerst an Schweden über, 1715 an das Kurfürstentum Hannover. Damit gehörte der Dom "fremden Herren" und wurde vom Senat der stolzen Freien und Hansestadt als "Stachel im Fleisch" gesehen. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 wurde der Hamburger Dom säkularisiert und fiel damit an die Stadt Hamburg. Der Abbruch ab 1806 wurde offiziell mit den enormem Kosten für Unterhalt und Renovierung des vernachlässigten Gebäudes und dem Hinweis auf die unbedeutend kleine Domgemeinde begründet. Wie bis heute in der "Freien und Abrissstadt" leider allzu oft üblich, bestand an der kunstgeschichtlichen Bedeutung des abgerissenen Gebäudes kein Interesse. Allerdings konnte ein großer Teil der kostbaren Ausstattung gerettet werden. Damit fehlte der Hamburger "Stadtkrone" ein markanter "Zacken ".

Im Mai 1842 zerstörte der "Große Brand" weite Teile der Hamburger Altstadt - darunter auch die Nikolaikirche und die Petrikirche. Während St. Petri bis 1878 weitgehend originalgetreu wiederaufgebaut wurde, wurde St. Nikolai bis 1874 als neugotischer Sandsteinbau völlig neu errichtet. Der vom britischen Architekten George Gilbert Scott in einem an die englische Gotik angelehnte Stil entworfene Neubau bekam den damals höchsten Kirchturm der Erde - mit 147,3 m war er bis zur Vollendung des (eisernen) Turms der Kathedrale von Rouen 1877 das höchste Gebäude der Welt.

Als höchste Erhebung der Stadt diente der Turm der Nikolaikirche den Piloten der alliierten Luftwaffen als Ziel- und Orientierungspunkt bei allen Luftangriffen auf Hamburg. Am 28. Juli 1943 wurde die Kirche durch Fliegerbomben schwer beschädigt. Das Dach stürzte ein, wodurch das Innere des Kirchenschiffs schwere Schäden erlitt. Die Wände waren ebenfalls betroffen und bekamen Risse, blieben aber weitgehend stehen; ebenso der Turm.
Es stimmt also nicht ganz, dass die Hamburger Nikolaikirche im Krieg zerstört worden sei. Die ähnlich stark beschädigte St. Katharienkirche einige hundert Meter weiter wurde wiederaufgebaut, die Nikolaikirche war weitaus wenige zerstört als z. B. die Dresdner Frauenkirche. Die tragende Struktur der neugotischen Konstruktion war im Krieg weitgehend intakt geblieben und die Bausubstanz war allgemein in einem Zustand, der einen Wiederaufbau realistisch erscheinen ließ. Dennoch entschloss man sich, das Kirchenschiff abzureißen und nur den Turm stehenzulassen. 1951 wurde das Kirchenschiff abgebrochen, die Trümmer wurden zum Teil zur Uferbefestigung an der Unterelbe (!) benutzt. Es gab zwar Protest, der aber verhallte. Wie ich vermute nicht nur, weil in der Zeit des Wiederaufbaus die Prioritäten natürlich anders gesetzt wurden als in "normalen" Zeiten. Ein Grund für das Verhallen: Die "neue" Nikolaikirche galt, anders als etwa der Michel oder die Katharinenkirche, nicht als "Wahrzeichen" der Stadt. Ein anderer war die Verachtung vieler damals maßgeblicher Architekten und Kunsthistoriker für den "Nachahmerstil" der Neugotik. Psychologisch war es, das vermute ich nach einige Gesprächen mit alten Hamburgern, sicherlich auch bedeutsam, dass der Turm dieser "Unglückskirche" "den englischen Bombern den Weg gewiesen" hätte.

Montag, 21. September 2009

Geheimagent J.R.R. Tolkien?

Nach einem Bericht des "Telegraph" sei der der Schriftsteller J. R. R. Tolkien vor dem drohenden Zweiten Weltkriegs im Geheimen als Regierungsspion ausgebildet worden, was aus neu aufgefundenen Dokumente hervorginge.
JRR Tolkien trained as British spy (telegraph.co.uk)

Tolkien war einer der angesehendsten Linguisten seiner Zeit. Deshalb wäre es wenig überraschend, wenn er in den 1930er Jahren für den absehbaren Fall einer deutschen Kriegserklärung als Experte für die Entschlüsselung nazideutscher Geheimnachrichten vorgemerkt geworden wäre.
Längst ist bekannt, dass schon zu einer Zeit, als die britische Regierung noch an ihren im Nachhinein geradezu selbstmörderisch naiv anmutenden "Appeacement"-Politik festhielten, die argwöhnischen Geheimdienstchefs ein bis 1973 (!) streng geheimes kryptoanalystisches Zentrum in Bletchley Park einrichteten, offiziell Government Code and Cypher School (GC&CS) genannt.
Die größten Erfolge erreichte Bletchley Park mit der numerischen Entschlüsselung deutscher Geheimnachrichten, die mit Schlüsselmaschinen wie der Enigma oder dem noch raffinierterem Geheimschreiber verschlüsselt waren. Bletchley Park war der Ort, an dem der erste elektronische Computer der Welt stand. Der prominenteste Experte an der "GC&CS" war der geniale Mathematiker Alan Turing. Neben Mathematikern arbeiteten aber auch Sprachwissenschaftler, Historiker und sogar Schachexperten für Bletchley Park.

Daher halte ich die Angabe für glaubwürdig, dass Tolkien laut der nun aufgetauchten Dokumente tatsächlich für die GC&CS ausgewählt wurde. Laut "Telegraph" verbrachte er in ihrem Londoner Hauptquartier im März 1939 drei Tage. Obwohl er "zugeneigt" gewesen wäre, hätte Tolkien, der damals Professor für englische Literatur an der Universität Oxfort war, das mit immerhin 500 £ jährlich dotierte Angebot, ein Vollzeitmitarbeiter zu werden, abgeleht. (500 £ im Jahr war nach damaliger Kaufkraft ein großzügiges Gehalt. Es entspräche heute etwa 50.000 £ jährlich.)
Die Gründe, aus denen er ablehnte, seien unbekannt. Hätte er angenommen, wäre "Lord of the Rings" wahrscheinlich ungeschrieben geblieben. Ein Historiker des GCHQ mutmaßt, dass sich Tolkien, obwohl er interessiert und geeignet war, sich wohl auf seine Karriere als Schriftsteller konzentrieren wollte.

Freitag, 26. Juni 2009

Fußballkrieg

Heute vor genau 40 Jahren, am 26. Juni 1969, fand in Ciudad de México ein folgenschweres Fußballspiel statt. Es war das Entscheidungsspiel der Nord- und Mittelamerikagruppe für die WM 1970, in dem El Salvador über Honduras siegte. Straßenkrawalle nach Fußballspielen sind leider nicht selten, dass aber eine "3. Halbzeit" zu einem Krieg eskalieren könnte, dem fast 3000 Menschen umgebracht wurden, ist ein aberwitziger Gedanke.
Dennoch war der "Fußballkrieg" zwischen Honduras und San Salvador blutige Realität.

Die nationalistisch aufgeladenen Spannungen zwischen den beiden kleinen mittelamerikanischen Staaten hatten sich schon beim zweiten Spiel der WM-Qualifikation in El Salvador am 15. Juni in Straßenunruhen entladen. Das Spiel endete 3:0 für El Salvador, nachdem eine Woche zuvor Honduras 1:0 gewonnen hatte. Die Ausschreitungen wurden von Militär und Polizei niedergeschlagen. Während des Spiels verbrannten einige Salvadorianer die honduranische Flagge und bewarfen die honduranischen Spieler mit Gegenständen.
Auch am Rande des dritten und entscheidende Spiel in Mexico am 26. Juni gab es Unruhen. Als Pipo Rodriguez in der Nachspielzeit das 3:2 für El Salvador schoss, war Honduras ausgeschieden. Kurz darauf kam es zu unkontrollierten Ausschreitungen, bei denen es auch Tote gab.
Am 14. Juli 1969 entschloss sich die salvadorianische Regierung dann zur militärischen Intervention. General Fidel Sánchez Hernández, Präsident von El Salvador schickte ohne Kriegserklärung Bomber nach Honduras. Natürlich war das Fußballspiel am 26. Juni weder der Grund für den Krieg, noch für die kriegsauslösenden Unruhen. So bitter ernst nimmt man selbst im fußballverrückten Lateinamerika eine WM-Qualifikation nicht.

Wie bei den meisten Kriegen waren es letzten Endes wirtschaftliche Ursachen, die zum "Fußballkrieg" führten. Ursachen, die man gerade im heutigen Europa ernst nehmen sollte. Es ging zentral um das Problem der "Wirtschaftsflüchtlinge".

1960 wurde, nach dem Vorbild des EU-Vorläufers EWG, der Zentralamerikanische gemeinsame Markt (MCCA) gegründet. El Salvador, das industriell am weitesten entwickelte Land der Region, profitierte zunächst am meisten vom gemeinsamen Markt. Allerdings stieß El Salvador schnell an Grenze des Integrationskonzepts, an die regionale Binnenmarktenge. Zwar gab es einen größerer Absatzmarkt für die sich entwickelnde Industrieproduktion, aber die für einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung nötigen kaufkräftigen Konsumentenschichten fehlten. Sowohl El Salvador wie Honduras wurden politisch von Agraroligarchien, von den "Kaffee-", "Zucker-", "Vieh-" und "Bananenbaronen", beherrscht, die weder am Übergang zu einer modernen Industriegesellschaft, noch am Wohlstand der Massen, geschweige den an einer Demokratisierung interessiert waren. (Außerdem standen - und stehen - beide Staaten stark unter dem Einfluss US-amerikanischer Unternehmen, die auf offene und verdeckte Rückendeckung der USA zählen konnten. Sie waren zwar am Erhalt des quasi-feudalen Status Quo der "Bananenrepubliken" interessiert, aber auch an Stabilität. Was übrigens auch für die offizielle US-Außenpolitik galt.)
Das salvadorenische Machtkartell aus Militär und Agraroligarchen versuchte die sich abzeichnende Wirtschaftskrise abzufangen, indem sie, entgegen den Integrationsbestimmungen des MCCA, auf den hondurenischen Markt expandierte. San Salvador exportierte aber nicht nur Industrieprodukte nach Honduras, sondern "exportierte" auch arbeits- und landlose Arme. Anders gesagt: sie förderte die bereits seit Jahrzehnten stattfindende Auswanderung der Unterschicht in die Nachbarländer, vor allem nach Honduras.

Die honduranische Militärregierung schob den "Wirtschaftsflüchtlinge" aus San Salvador ihrerseits die Schuld für die beginnenden wirtschaftlichen Probleme des Landes in die abgetragenen Schuhe. Sie führte, auch entgegen dem MCCA, protektionistische Maßnahmen ein, verlängerte den Migrationsvertrag zwischen Honduras und El Salvador nicht und ließ in Honduras lebenden salvadorenischen Siedler vertreiben. Das honduranische Regime versuchte, die sich seit 1967 zuspitzenden Landkonflikte durch eine Agrarreform unter Kontrolle zu bringen, bei der die von den salvadorenischen "illegalen Siedlern" besetzten Landstücke an arme Honduraner verteilt werden sollten. Etwa 300.000 Salvadorianer waren über die offene Grenze nach Honduras gekommen und hatten dort brachliegendes Land in Besitz genommen, ohne jedoch das Land rechtmäßig erworben zu haben.
Am 30. April 1969 forderten die honduranischen Behörden die "Squatter" auf, innerhalb von 30 Tagen nach El Salvador zurückzukehren.

In beiden Ländern wurden nationalistischer Stimmungen geschürt, um von internen Spannungen abzulenken. Die salvadorenische Regierung, die das für sie wichtige "Ventil" der Auswanderung der Armen zu verlieren fürchtete, nutzte die nationale Empörung über die Behandlung der "Squatter", um die Auseinandersetzungen mit Honduras zum Krieg eskalieren zu lassen.
Da es "um das Vaterland" ging, gelang es der salvadorenischen Regierung kurzfristig, selbst die politisch und gewerkschaftlich organisierten Teile der Bevölkerung, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre teilweise in direkter Konfrontation zu dem Staatsapparat gestanden hatten, mehrheitlich einzubinden und vorübergehend zu demobilisieren.
Die Unruhen und Ausschreitungen nach dem Fußballspiel lieferten den Anlass bzw. den Vorwand dafür, dass am 14. Juli salvadorenische Flugzeuge den Flughafen der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa bombardieren und salvadorenische Truppen nach Honduras einmarschierten. Das salvadorenische Kriegsziel war es, ein Bleiberecht für die "Squatter" aus El Salvador durchzusetzen. Die rasch vordringenden überlegenen salvadorenischen Streitkräfte konnte von den schlecht ausgerüsteten hondurenischen Truppen nur dank der bedeutender Hilfe der Zivilbevölkerung abgebremst werden - es wäre auf längere Sicht wohl zum Guerilla-Krieg gekommen. Die sich abzeichnende Niederlage der honduranischen Armee veranlasste die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) dazu, in den Konflikt einzugreifen und drohte mit Wirtschaftsanktionen. Der UN Generalsekretär schaltete sich als Vermittler ein. Am 18. Juli 1969 endeten die Kämpfe.

Am 29. Juli musste die salvadorianische Regierung dem Rückzug ihrer Truppen zustimmen, ohne dass ihre wichtigste Forderung erfüllt wurde. Am 4. August verließen die letzten Soldaten Honduras. Der Krieg kostete 3.000 Menschen das Leben, weitere 6.000 wurden verletzt. Der Krieg dauerte nur 4 Tage, aber der Konflikt schwelte weiter. Erst 1980 schlossen beide Länder endlich Frieden. Einen Streit um die Landesgrenzen im Golf von Fonseca legten Honduras und El Salvador erst 2006 bei.

Inzwischen hatte El Salvador ein anderes, noch viel größeres Problem: Der soziale Konflikt zwischen der Agraroligarchie und dem ihm verbundenen Militär und den landlosen Armen war 1970 zum offenen Bürgerkrieg eskaliert, der volle zwölf Jahre dauerte, mindestens 80 000 Menschenleben kostete und das Land praktisch ruinierte.
Der Fußballkrieg bedeutete zugleich das Ende des 1960 gegründeten Zentralamerikanischen gemeinsamen Marktes (MCCA).

Auch wenn das Fußballspiel am 26. Juni 1969 nur der Anlass für Unruhen war, die wiederum der Vorwand für den Krieg waren, stellt der "Fußballkrieg" die oft geäußerte Behauptung von der "völkerverständigenden Kraft des Sports" infrage.

Wikipedia: Fußballkrieg
Uni Hamburg: El Salvador / Honduras ("Fußballkrieg")

Süddeutsche.de: WM Qualifikation: Der Fußballkrieg - Spiel mit hohem Risiko.

WDR.de: Vor 40 Jahren: Fußballkrieg zwischen Honduras und El Salvador

Mittwoch, 14. Januar 2009

Eine Vermutung über die Lektüre Adolf H.s bestätigt

Schon lange ist bekannt, dass Hitler eine besessenen "Leseratte" war, dass der Völkermörder die Abenteuerschmöcker des Antirassisten Karl May verschlang und Shakespeare schätzte, die Schriften des Antisemiten Paul de Lagarde gewissenhaft durcharbeitete und von Lexikonwissen fasziniert war. Bekannt ist auch, dass er sehr selektiv las - genauer gesagt, las er das aus den Texten heraus, was seiner ziemlich vernagelten Weltanschauung entsprach, was sich sogar auf seine Karl-May-Lektüre erstreckte - und dass er seine Umgebung mit frisch angelesenen "Erkenntnissen" nervte.

Jetzt hat der Historiker Timothy W. Ryback die Bücher des Diktators untersucht - Artikel von Hannes Stein auf "Welt online": Die Bücher, in denen Adolf Hitler gerne schmökerte.

Eine Vermutung, die ich schon lange hegte, wurde durch Rybacks Untersuchung bestätigt: Dass Adolf H. nicht nur als junger Mann okkulte bzw. esoterische Schriften, vor allem ariosophischer Richtung, regelrecht verschlang, sondern dass Hitlers Lektüre auch in seiner Zeit als Diktator zum großen Teil aus okkulten Schmöckern bestand.
(...) Nicht Nietzsche, nicht Schopenhauer, nicht Fichte – letztlich ist es für Timothy Ryback ein esoterischer Schriftsteller namens Max Schertel, der Hitler erklärt. In einem Buch über das "Gesetz der Welt" beklagt jener Schertel, die meisten Europäer seien so materialistisch und zweckrational, dass sie sich an etwas so Äußerlichem wie Fakten orientierten. Das wahre Genie sei dagegen "ektropisch" – es könne sich eine Welt vorstellen und durch bloße dämonische Willenskraft wirklich werden lassen.

Hitler kritzelte begeistert dicke zustimmende Bleistiftstriche an den Rand. Ektropisch! Ganz klar, damit war pfeilgerade er gemeint, der "Führer" höchstselbst!
Das bestätigt auch meinen Eindruck, dass Hitler, der sich im vertrautem Kreise gern spöttisch über völkische Esoteriker äußerte und als "Mann der Wissenschaft" stilisierte, in der Tat "esoterisch" dachte. Als junger Mann geprägt durch die gläubige Lektüre von rassistischen Esoterikern wie Adolf Lanz "von Liebenfels", später berauscht an Schertels Machtphantasien. Dass aber ausgerechnet ein drittrangiger esobärmlicher Schreiber Hitlers Leib- und Magenweltdeuter war, überraschte mich doch - etwas mehr Niveau hätte ich dem Völkermörder schon zugetraut. Aleister Crowley etwa. Oder wenigstens Helena Blavatsky (wobei ich annehme, dass deren Werke auch in Adolf H.s Bibliothek zu finden waren).

Hitler ist jedenfalls ein Musterbeispiel dafür, dass zur Belesenheit auch die Fähigkeit zur Reflexion und zur Selbstkritik hinzukommen muss, damit aus der Anhäufung von Bücherwissen so etwas wie Bildung wird.
Er war eine Null, die gern las.
Da hat Hannes Stein recht.

Nachtrag: Rezension und Auszug aus Hitlers private library (Timothy Ryback) auf der Website der New York Times.

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