Generalverdacht im Gefahrengebiet

Unter dem Titel “Kultur – Technik – Überwachung. Alltagspraktiken und Überwachung – Überwachungspraxen im Alltag” findet am Freitag und Samstag in Hamburg eine interessante Tagung am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie der Universität Hamburg statt:
Forschungskolleg Kulturwissenschaftliche Technikforschung, 9. und 10. Oktober 2009
Anmeldung: tagung2009 @ surveillance-studies.org
(Über: Tagung zu Überwachung in Hamburg (netzpolitik))

Hamburg ist als Tagungsort nicht schlecht gewählt. In Hamburg, eigentlich eher als "liberal" und "tolerant" bekannt, gibt es seit 2005 mit dem "Hamburgische Gesetz zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" das, laut Eigenlob der CDU-Bürgerschaftsfraktion, "schärfste Polizeigesetz Deutschlands". Es ist m. E. typisch für den verschobenen Bezugspunkt polizeilichen Handelns in den letzten Jahren: es geht nicht mehr darum, die Bürger und ihre Rechte zu schützen, sondern um Verbrechensprävention - auch um den Preis, dass im Prinzip jeder ein potentieller Risikofaktor ist, ein potenzieller Gefährder, der überwacht werden muss.

Seit Juni 2005 hat die Hamburger Polizei das Recht, aufgrund ihrer "Lageerkenntnisse" sogenannte Gefahrengebiete zu definieren, in denen sie "Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen" darf. (§ 4 Abs. 2 PolDVG)
Seitdem hat die Polizei 38 Gefahrengebiete auf die Stadtkarte gezeichnet. Ganze Stadtteile unterliegen dem polizeilichen Ausnahmezustand, um Identitätsfeststellungen, Durchsuchungen, Platzverweise und Aufenthaltsverbote zu begründen. Gefahrengebiete - die übrigens nicht nur vermeintlich "üble Gegenden" sind, sondern zu denen auch z. B. der eher beschauliche Ortskern Bergedorfs gehört - konstruieren einen Generalverdacht gegenüber Menschen, die sich in bestimmten Stadtteilen aufhalten.
(Mehr darüber: Gefahrengebiete in Hamburg.)
distelfliege - 8. Okt, 17:20

Ahja... in Berlin haben sie sowas auch. Aber schon länger... das "Allgemeines Gesetz zum Schutz der Sicherheit und öffentl. Ordnung in Berlin" (ASOG), wo es so schön heisst:
"§ 66
Einschränkung von Grundrechten
Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte auf Freiheit der Person (Artikel 2 Abs.2 Satz 2 des Grundgesetzes) und Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) eingeschränkt."

Ja, und zwar permanent, die ganze Zeit. Wenn ich z.b. in Berlin wohne, hab ich nicht im gleichen Umfang Grundrechte wie Einwohner anderer Städte, und das, ohne dass ich mich an die sog. "gefährlichen Orte" begeben würde.
Ich hab auch schon 2-3 Hausdurchsuchungen miterlebt, was man ja als Ex-Hausbesetzerin so erlebt hat, nicht wahr.. und Durchsuchungsbefehl? Gibts in Berlin nicht. Da knurrt der Einsatzleiter auf die Frage nach dem Durchsuchungsbefehl nur "ASOG"...
Vor ein paar Jahren hat auch irgendein Oberlandesgericht, glaub ich, die Berliner Polizei mal gerügt, weil sie kaum noch irgendwelche richterlichen Genehmigungen beantragt und das ASOG-Gesetz, das eigentlich für Ausnahmefälle gedacht war, zur Bequemlichkeit als Freibrief nutzt.

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