Mittwoch, 3. April 2013

Ein problematisches typisches Motiv des Abenteuerromans

Antje Schrupp weist in ihrer lesenswerten Rezension
Nazismus und Popkultur: "Das zweite Leben des Dritten Reiches" von Georg Seeßlen auf Seeßlens interessante Grundthese hin, die den Faschismus als Konsequenz eines vergangenen Patriarchats interpretiert, an dessen Stelle dessen die pure Inszenierung des Führertums tritt.

Da ich mich nicht nur mit Abenteuerromanen auseinander setze, sondern sogar welche schreibe, ist die Denkfigur der alleinigen Representantion eines Volkes durch den "Einen", eines Gemeinweisens, in der "Einer spricht an Stelle der Vielen" gilt, die in der populären Kultur immer wieder inszeniert wird, besonders relevant. Sie ist geradezu eine Grundstruktur vieler Abenteuerromane, -Filme und seit einigen Jahren auch -computerspiele:
Der Held hat durch einen schurkischen, dämonischen Mann und seine Leute das elterliche Erbe verloren und muss nun umherziehen, schließlich das Land schöner und größer als je zuvor wieder errichten. Unschwer zu erkennen ist darin das “nationale Trauma”, Verlust und Wiedererrichtung des Reiches, Vernichtung des Usurpators, der wahlweise Jude, Demokrat oder Bolschewik ist. … Aber vielleicht steckt ja in dieser manischen Wiederholung vom schicksalhaften Tod des Vaters und der verbesserten Rekonstruktion des Reiches noch einmal jene Mythologie von Schuld und Schuldabwehr, die im Nebel der ursprünglichen Faschisierung zu finden war. (S. 181f)
("Abenteuer" schiesst hierbei natürlich Thriller, historische Romane, Science-Fiction und vor allem Fantasy mit entsprechenden Plots ein.)

Scheers "Superpirat" Reinhardt Gonder passt ziemlich gut in dieses Schema, unangenehm gut, möchte ich sagen.
Übrigens beschreibt diese problematische Denkfigur Scheers populärste Schöpfung Perry Rhodan glücklicherweise nur teilweise. Perry Rhodan steht zwar durchaus als "Einzelner" für "die Terraner", aber es ging auch in den frühen Romanen eben nicht um die verbesserte Restauration eines vergangenen Reiches, auch wenn der "Erbe"-Gedanke gut 1000 Bände sogar im Untertitel der Serie stand: "Der Erbe des Universums". Es geht allerdings um das "Erbe" einer Zivilisation, die ihre Chance gehabt hatte und versagte. "Aufbruch zu neuen Ufern" und "Toleranz und Vielfalt, aus dem Neues, Besseres entsteht" anstelle der Wiederherstellung der "guten, alten Ordnung". (So gesehen wäre übrigens Star Wars "faschistoider" als Perry Rhodan.)
Ich vermute, dass das (die von mir begrüßte nicht-reaktinäre Ausrichtung) auch daran liegt, dass Scheer nicht der "Alleinschöpfer" Rhodans war, sondern dass (die Perry Rhodan-Autoren)Walter Ernsting (alias Clark Darton) und später vor allem Willi Volz andere, weniger patriarchale und vor allem weniger autoritäre Mythen und Utopien im Hinterkopf hatten.

Das schmälert übrigens meinen Respekt und meine Sympatie für Karl-Herbert Scheer und seine Romane nicht - aber aus einigen Jahrzehnten Abstand erkennt man die Ecken und Kanten, die sein Werk aufwiesen. Ohne die, das muss auch gesagt werden, die harten und rasanten Scheer-Romane weniger hart und rasant wären. Sie hoben sich positiv von den allzu "braven" und oft ziemlich angestaubten deutschen Unterhaltungsstoffen ihrer Zeit ab. Und Scheer war alles andere als ein "heimlicher Nazi". Von der Sorte gab es in der deutschen Unterhaltungsliteratur und im (west-)deutschen Unterhaltungsfilm der 50er und 6Oer einige ziemlich schlimme Vertreter.

Mit ist schon sehr lange klar ist, dass Scheers Romanplots nicht nur kantig sind und es in ihnen ziemlich brutal zur Sache gehen kann, sondern auch sehr stark auf autoritäre "Führerpersönlichkeiten" mit schier übermenschlichen Fähigkeiten fixiert sind.
Das ist übrigens ein weiterer Grund, weshalb ich keine direkte Fortsetzung von "Herr der Meere" schreibe.
(Die Idee einer Suche ist übrigens nicht von mir, sondern von Kurt Kobler.)
Da "Herr der Meere" einige inhaltliche Parallelen zur frühen "Perry Rodan"-Serie, zum "3.-Macht-Zyklus", aufweist, bzw. Scheer einige Ideen aus "König der Meere" und "Herr der Meere" wiederverwendete, kam ich auf die Idee, doch statt "Vergeltung" und "Herstellung des rechtmäßigen Status" Gonder andere, visionärere, aber durchaus scheer-typisch übergroße Ziele zu unterstellen.
Reinhardt Gonder wurde vom Regime des englischen Königs Karl II. umd das Erbes seiner Eltern gebracht und als Rebell zur lebenslanger Zwangsarbeit auf westindischen Plantagen verurteilt. Er ist zwar von der Abstammung her Brandenburger, aber von Herzen Anhänger der englischen Republik unter "Lord Protector" Oliver Cromwell - und, was man ihm streckenweise bei aller Toleranz für seine saufenden und hurenden Piraten anmerkt, Puritaner. Nun war Oliver Cromwells Regime im Grunde eine Militärdiktatur, er selbst ein religiöser Fanatiker, dessen brutales Vorgehen gegen die irischen Katholiken bis heute Folgen hat, und der protestantisch-puritanische Tugendterror ein typisches Merkmal der Cromwell-Ära.

Da Gonder in "Herr der Meere" in erste Linie die piratentypischen Ziele "schnell reich werden" und "Rache" verfolgt, tritt das nicht so unangenehm zutage, wie das bei einem stärker "politischen" Plot der Fall gewesen wäre.

Da ich keine "unpolitischen" Abenteuerromane schreiben möchte, schon aus dem Grund, das sowohl "kontrafaktische Geschichtsschreibung" wie "Agentenromane" automatisch einen Zug ins Politische haben, ergibt sich daraus ein für mich durchaus reizvoller Zwiespalt: Gonder darf, damit die Kontinuität zu Scheers Werk erhalten bleibt, nicht plötzlich zum überzeugten, sinnenfrohen und "quasi-sozialistischen" Basisdemokraten (wie es sie unter den Bukanieren des späten 17. Jahrhunderts ansatzweise tatsächlich gab), mutieren. Anderseits darf er keine poltischen Ziele haben, die denen Cromwells entsprächen - ein Held, der einen autoritären christlich-protestantischen "Gottesstaat" anstrebt, wäre heutigen Lesern nicht zuzumuten, und, wie Scheer sicher wusste, wohl auch nicht den Lesern der 1950er Jahre.
Es ist Lesern meine ersten "Geheimauftrag MARIA STUART"-Romans sicher nicht entgangen, dass ich Symphatien für die sinnenfrohen und genussfreudigen, toleranten, durchaus basisdemokratischen und unter sich auf soziale Gerechtigkeit bedachten Bukaniere hege - trotz ihres blutigen "Handwerks". Sicher nicht als Vorbild für heute, aber als reizvolles Gegenbild zum Absolutismus des 17. Jahrhunderts. Ich denke nicht, dass Scheer meine Sympathien für eine Freibeuter-Anarchie geteilt hätte.

Mal sehen, wie ich mit dieser Herausforderung fertig werde.

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