Samstag, 19. Februar 2011

Von schwarzer Pädagogik und Schwarzen Puppen

Mit leichtem Gruseln las ich von der wahnwitzigen Härte, mit der "Tigermutter" Amy Chua ihren beiden Töchter auf Erfolg hin erzog. Wie ein Elisabeth von Thadden in einem Kommentar für die "Zeit" feststellte, preist Frau Chua nicht etwa die harte "chinesische Methode" an, sondern gesteht ihr Scheitern ein (Wer hat Angst vor dieser Frau?).
Ein - mögliches - Motiv Frau Chuas und ein - sehr wahrscheinlicher - Grund für das rege öffentliche Interesse an der "Mutter des Erfolgs" sind Abstiegsängste.
Die Eltern in der "Mittelschicht" sind zutiefst verunsichert angesichts einer demografisch und ökonomisch ungewissen Zukunft, wobei diese nachvollziehbaren Ängsten vor allem in Deutschland auch noch von Politik und Medien kräftig geschürt werden. Sie fürchten, dass sie den Abstieg der Kinder aus der eigenen Schicht nicht verhindern können. In dieser Situation finden Patentrezepte offene Ohren.
Besonders gut kommen Patentrezepte an, wenn sie auch von der "Elite" praktiziert werden, oder zumindest der Eindruck besteht, dass die "Erfolgsmenschen" ihre Kinder so erziehen würden. Von Thaden drückt das so aus: "Erfolgreiche Familien mit Bildung (und Ego-Macke) bringen mit etwas Glück erfolgreiche Kinder mit Bildung (und Ego-Macke) hervor."
Bernhard Bueb, der Ex-Leiter des Elite-Internats Salem, hätte mit seinem "Lob der Disziplin" sicher nicht so viel Beifall gefunden, wenn er nicht Ex-Leiter eines Elite-Internats wäre. Wäre Amy Chua nicht gerade Professorin an der Elite-Universität Yale, wäre ihr Buch höchstwahrscheinlich kein Bestseller.
Zum Erfolg des Patentrezeptes "Weg mit der Kuschelpädagogik!" gehört auch, dass die viel geschmähte "Kuschelpädagogik" relativ neuen Datums ist, während jahrhundertelang in Europa mit Härte und Strenge, bis hin zur berüchtigten "schwarzen Pädagogik", erzogen wurden. Strenge Erziehung hat damit den Bonus des Vertrauten, Traditionellen, Bewährten.

Ich las also mit leichtem Gruseln von den Methoden Frau Chuas und dachte bei mir, dass ich das Glück gehabt hätte, keine so ehrgeizige Mutter gehabt zu haben. Bis da eine irritierende Erinnerung aus meiner Kindheit aufstieg, nicht gefragt, nicht gewollt, nicht einfach verdrängbar. Ich las, dass Frau Chua, wenn es mit dem Klavierspielen nicht klappte, damit drohte, sämtliche Stofftiere ihrer Tochter zu verbrennen.
Ich war etwa fünf oder sechs Jahre alt, meine Mutter hatte beide Arme voller Plüschtiere - meine Plüschtiere - und warf sie vor meinen Augen in den Müllschlucker.
Ich habe mich vergewissert, dass die Erinnerung "echt" ist, diese kleine Episode ist also wirklich passiert.
Meine Mutter war keine ehrgeizige "Tigermutter", und es ist nicht einmal sicher, dass die rüde Entsorgung meines "Plüschtierzoos" (bis auf meine beiden Teddys) als Strafe gedacht war. Ich halte es für möglich, dass der eigentliche Grund der war, dass sie sich über die "ollen Staubfänger" ärgerte.
Kein Zweifel besteht für mich, dass meine Mutter - aus Unsicherheit und weil sie nicht besser wusste - auf "schwarze" Erziehungsmethoden zurückgriff Tradierte schwarze (und braune) Pädagogik. Eine "Familientradition" - meine Mutter wurde mit brutalen Methoden, buchstäblich mit dem Lederriemen, erzogen oder besser, zugerichtet - die sogar gute Absichten zunichte machte - meine Mutter wollte ja ihre Kinder ganz anders erziehen, als sie erzogen wurde.
Obwohl meine Mutter nicht übertrieben ehrgeizig war, wurde sie, das ist mir heute klar, von starken sozialen Abstiegsängsten getrieben. Ich möchte nicht näher auf die Natur dieser Ängste eingehen, sie waren allerdings berechtigt.

Nicht zu den damals weggeworfenen Spielsachen gehörte eine Puppe, die allerdings wohl später bei einer einer passenden Gelegenheit "verschwand". Ich nannte diese Puppe, die ein kleines Mädchen mit dunkelbrauner Haut darstellte, einfach "Negerpüppi". Eine sehr ähnliche Puppe, oder eine modernisierte Ausgabe meiner Puppe, wird auch heute noch angeboten, unter dem Namen "Toxi".

Szenenwechsel
Zur Erinnerung an den Tod des Sängers, Schauspielers und Entertainers Peter Alexander postete Karan auf facebook das Lied "Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere" aus dem gleichnamige Film von 1952:

Die kleine dunkelhäutige Sängerin an Peter Alexanders Seite ist Marie Nejar (Künstlername: Leila Negra). Damals war sie übrigens schon 22, was man kaum glauben kann.
Diese damals junge Frau interessierte mich. Ich fand einen Artikel auf taz-online aus dem Jahr 2007, der einen kleinen Einblick in eine schier unglaubliche Lebensgeschichte gibt. Wilde Marie.
Zu dem, aus heutiger Sicht, übel rassistischen Lied "Mach nicht so traurige Augen, weil du ein Negerlein bist" heißt es da:
Ob ihr der Text nicht heute etwas seltsam vorkomme, frage ich. "Damals hatte das seinen Sinn. Wenn ich damit aufgetreten bin, kamen anschließend die Mütter, die die sogenannten Besatzungskinder hatten. Denen habe ich aus der Seele gesprochen." In den Fünfzigerjahren hatten manche deutsche Frauen Kinder von schwarzen Besatzern. Das Unglück dieser Zeit wurde dann noch drastischer, wenn die tot geglaubten Männer plötzlich wieder vor der Tür standen. Ihr Lied war eine Art Integrationshilfe, findet sie.
Ein andere Zeit. Leider scheinen sich bestimmte Dinge gar nicht oder zu langsam zu ändern, denn:
Aus Marie Nejars Sicht hat sich die Situation heute nicht wesentlich verändert. Sie höre immer wieder, dass Ausländer und Schwarze den Deutschen die Arbeit wegnehmen würden.
Marie Nejar sang auch den Titelsong eines Films, von dem ich bis dahin nichts wusste: Toxi. Ein - wie das "Negerleinlied" - sicherlich gut gemeinter, vielleicht für die damalige Zeit wichtiger, aber aus heutiger Sicht indiskutabler Film.
Der Filmhistoriker Tobias Nagl schreibt in seinem Aufsatz: Fantasien in Schwarzweiß – Schwarze Deutsche, deutsches Kino
Nach Ende des nationalsozialistischen "Rassenstaats" verschwand der offensive Rassismus des "Dritten Reichs" von den Leinwänden, nicht jedoch die Vorstellung, Deutschland sei eine "weiße" Nation. Deutlich wurde dies in der öffentlichen Debatte um die so genannten "Besatzungskinder" afro-amerikanischer Väter und weißer Mütter. Mit "Toxi" entstand 1952 zur Einschulung dieser Generation afro-deutscher Kinder ein Film, der vordergründig um "Verständnis" warb. Indem er aber die Existenz Schwarzer Deutscher ausschließlich als sozialpädagogisches "Problem" begriff, die NS-Vergangenheit verdrängte und die Mütter pathologisierte, reproduzierte er homogenierende Vorstellungen des "Weiß-Seins".
Die noch heute vorherrschende Vorstellung, nach der echte Deutsche "natürlich" "weiß" sind und Schwarze "natürlich" als "Ausländer" / "Fremde" gesehen werden.

Dass "Toxi" tatsächlich gut, sprich antirassistisch, gemeint war, geht aus einem "Spiegel"-Artikel aus dem Jahr 1952 über die Dreharbeiten und den Regisseur Robert A. Stemmle hervor: Die Leute rühren.
Wahrscheinlich war der Film damals sehr erfolgreich, anders kann ich mir den Namen "Toxi" für eine Schwarze Puppe nicht erklären.

Womit ich wieder bei mir wäre. Ich hatte zu meinem Artikel Alltagsrassismus und die Wichtigkeit des "N-Wortes" eine wichtige und für mich äußerst peinliche Diskussion, in der mich eine gute Freundin auf meinen eigenen Rassismus aufmerksam machte. Darin machte ich, übrigens unbedacht und von meiner Gefühlen überwältigt, eine verräterische Bemerkung:
Mir fällt leider nur eine Methode ein, das anerzogene "es ist OK"-Gefühl zu vermeiden: Ein starkes negatives Gefühl. Nun bin ich aber, wie die meisten Menschen, bequem. Es streng an, mir jedes Mal, wenn ich "Neger" sage oder auch nur denke, mich selbst als sklavenhalterischen, menschenverachtenden Rassisten zu visualisieren.
Sie zeigt, dass ich das Schema der autoritären "Dressurerziehung", so sehr ich mich gegen "Schwarze Pädagogik" einsetze, so verinnerlicht habe, dass mir, wenn es um mich selbst geht. keine Alternativen zur "Abschreckungspädagogik" einfallen.

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