Sonntag, 20. Juni 2010

"Werbung, die nicht mehr geht" - nicht immer aus gutem Grund

Wer sie noch nicht kennen sollte, sollte sie sich einmal ansehen - alte (US-amerikanische) Werbeanzeigen, die heute nicht mehr funktionieren würden.
Ad’s That Just Don’t Work Anymore.
Zusammengefasst: aus heutiger Sicht sind viele der Werbeanzeigen unglaublich sexistisch, konkret: frauenverachtend. Erstaunlich auch, mit welcher Frechheit Produkte, die auch damals schon im berechtigte Ruf standen, ungesund zu sein, beworben wurden. ("More Doctors smoke Camels than any other cigarette.")

Nach einigen amüsierten, erstaunten und manchmal entsetzten Momenten drängte sich mir ein Gedankengang auf, den Antje Schrupp auf twitter in einem Satz zusammenfasste:
Ich frage mich bei sowas immer, was wir wohl heute für völlig normal halten und in 30 Jahren alle facepalmen.
Ich würde mich freuen, wenn z. B. "Greenwashing" künftig genau so lächerlich und unverschämt wirkt, wie heute z. B. die damaligen Versuche der Tabakindustrie, die Gesundheitsgefahren des Rauchens herunterzuspielen. (Lesetipp dazu: Das Märchen vom grünen Riesen (spon) und die Greenwash-Studie (pdf) von LobbyControl.)

Allerdings enthält die kleine Sammlung der Werbeunglaublichkeiten eine Anzeige - und zwar ist es ausgerechnet die erste - die ich gar nicht schlimm finde: "Why did we put our heads together? To save money! Bradley Group Showers"
Ich könnte mir vorstellen, dass diese Werbung für Gruppenduschen noch heute funktionieren könnte - allerdings nicht in den USA.

Der Wandel der gesellschaftlichen Normen, der aus dieser alten Werbung spricht, ist meiner Ansicht nach ambivalent.

Noch deutlicher wird das anhand einer alten deutschen Werbung, die ich vor längerer Zeit schon einmal vorstellte - eine "Höhensonnen"-Werbung aus dem Jahr 1966.
hoehensonne

Sie wäre heute aus einem guten und einem schlechten Grunde kaum noch denkbar.
Der gute Grund ist der, dass UV-Bestrahlung von Kindern gesundheitlich bedenklich ist und kein Solarienhersteller mehr auf die Idee käme, seine Produkte für die Gesundheitsvorsorge für Kinder zu empfehlen. (Allerdings ist auch dieser "gute Grund" etwas ambivalent: die Hautkrebsprävention kippte in eine "Sonnenpanik" um, die wohl eine Ursache des dramatischen Anstieg des Vitamin D-Mangels sein dürfte. An dem sollen über die Hälfte der Kinder leiden - jedenfalls, wenn man den Herstellern von Vitamin-D-Präparaten glaubt.)
Der schlechte Grund ist der, dass es seit Anfang der 1990er Jahre üblich geworden ist, bei Kinderfotos sofort mitzudenken, wie diese wohl auf "Pädophile" wirken könnten. Was an sich nicht falsch wäre, wenn die Besorgnis nicht längst in Hysterie umgeschlagen wäre, und wenn es nicht ziemlich gefährliche Vorstellungen darüber gäbe, wie "Kinderschänder" "ticken". Ich nenne nur die "Anfixhypothese", die in der Debatte um die Internetsperren eine unrühmliche Rolle spielte, und in der Nacktfotos von Kindern die Rolle einer "Einstiegsdroge" in die "harte Kinderpornographie" einnehmen.
Um es noch einmal zu sagen: "Kinderpornographie" ist keine Pornographie, sondern die Darstellung einer tatsächlich stattgefundenen sexualisierten Misshandlung eines Kindes.
Was bei Fotos wie dem auf der alten "Höhensonnen"-Werbung nicht der Fall ist.

Um auf Antjes Frage zurückzukommen: Ich fürchte, dass es nicht nur einen positiven Wandel in Richtung weniger Diskriminierung und mehr Verbraucherschutz in der Werbung gibt.
Ich fürchte einen Wandel hin zu sehr konservativen und sehr repressiven Moralvorstellungen, der von der stets opportunistischen Werbung flankiert wird.
Vielleicht "funktioniert" Werbung mit religiösen Anspielungen in einigen Jahren nicht mehr - und zwar aus Angst vor Fundi-Christen und Fundi-Moslems? Oder es wird es umgekehrt bald "ganz normal" sein, sich in der Werbung über "Unterschichtler" und "Sozialschmarotzer" lustig zu machen? Sind ja eh keine kaufkräftige Zielgruppe!

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