Montag, 15. März 2010

"Deutsche Sporthelden"

Ich schließe mich gern der Ansicht an, dass ein Selbstbewusstsein, das sich aus dem Abgrenzen gegen andere speist, gar kein Selbstbewusstsein ist. So gesehen könnte es Patrioten, die so gerne darauf behaupten, sie seien stolz und selbstbewusst und national und die Anderen könnten uns mal, deutlich an Selbstbewusstsein mangeln. Die Erkenntnis, dass Nationalisten, die Andere nieder machen und Feindbilder pflegen, ein gestörtes Selbstbewusstsein haben, ist fast Allgemeingut. Und darüber, wie es um das Selbstbewusstsein von jemandem steht, der sein "geliebtes Vaterland" stets von bösen Feinden bedroht sieht und ständig nur von Niedergang, Zersetzung, Unterwanderung, Dekadenz usw. redet, braucht man, denke ich, gar nicht lange spekulieren.

(Und wer gar fragt: "Warum sollen wir als einziges Volk auf der Welt nicht stolz auf unsere jahrtausende alte Geschichte sein?", der braucht meiner Ansicht nach gar nicht mehr zu erzählen, wie es um sein "patriotisches Selbstbewusstsein" bestellt ist. Das ist Minderwertigkeitsgefühl in Reinform.)

Leider spricht aus der Sportberichtererstattung in den meisten mir bekannten deutschen Medien, und zwar nicht nur in der in dieser Hinsicht unübertrefflichen BLÖD - genau dieses nationale Selbstbewusstsein, das keines ist. Das übrigens keine deutsche Spezialität ist, schon gar nicht im Sport - man denke nur an bestimmte englische und niederländische Fußballfans. Oder an die Sportseiten der "Daily Mail" (die der "Sun" sollen noch schlimmer sein).
Aber diese spezielle Häme, die auf "nationale Sporthelden" niedergeht, die irgendwie die Erwartungen nicht erfüllten, die oft von genau den selben Sportredakteuren hochgeschrieben wurden, die sie nach dem "Versagen" öffentlich Niedermachen, die kommt mir schon sehr "deutsch" vor. Nicht im Sinne eines Nationalcharakters (was sollte das sein?) oder auch nur einer allgemein verbreiteten Mentalität. Sondern im Sinne einer unschönen deutschen Tradition, die sich mühelos auf nazideutsche Propaganda und wilhelminischen Hurra-Patriotismus zurückführen lässt.

Wer wird in Deutschland medialer Sportheld und wer nicht?

Ich bin ja, wie Stammleser meines Senfblogges sicher festgestellt haben werden, ein Fahrtensegel-Enthusiast. Auch wenn ich schon seit Jahren (seufz) nicht mehr selbst auf Törn war. Dabei registriere ich auch, wie herausragende Fahrtensegler in ihren jeweiligen Heimatländern behandelt werden.

Leicht - aber nur leicht - überspitzt formuliert:
Einen Weltumsegler fragt man nach der Rückkehr nach Deutschland. ob er einen Sportbootführerschein hätte. (Etwa in der Art ist tatsächlich schon passiert.) Und er oder sie schafft es mit Glück in die Fach- und Lokalpresse.
Im sport- und segelbegeisterten Britannien bekommt man dagegen einen Adelstitel. (Den echte Ritterschlag eher selten, die öffentliche Anerkennung aber schon regelmäßig.)

Ich will damit sagen, dass es in der deutschen Öffentlichkeit einen starken Hang gibt, Sportler zu instrumentalisieren. Nur wenn ein Sportler seine ausländischen Konkurrenten deklassieren kann, und so das Minderwertigkeitsgefühl zumindest der Sporjournalisten und Sportfunktionäre kompensieren darf, ist er - oder sie - ein "Held". Dem dann auch alles verziehen wird. Ansonsten herrscht das ganz kleine Karo vor.

Nachtrag: ja, Michael Schumacher ist der Anlass. Ich bin alles andere als ein Motorsportfan, und mag ihn auch nicht besonders - aber eine unfaire Presse mag ich noch viel weniger.

(Dank an Ringfahndung für die Anregung.)

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