Samstag, 29. August 2009

Prognosen: Prinzip "Astro-TV"

Eine der wenigen Fragen, bei denen ernsthafte Esoteriker und noch ernsthaftere Skeptiker einer Meinung sind, ist die nach der Seriosität von Astro-TV (hier die herrliche Parodie von Harald Schmidt). (Wobei diese Beraterin keine Parodistin ist.)
Astro TV ist ein Fernsehprogramm für "esoterische Telefon-Beratung" und wäre meiner Meinung nach ganz amüsant, wenn ich nicht das dumme Gefühl hätte, dass dort naive Ratsucher über den Tisch gezogen würden. Schadenfreude über Naivität (nicht Dummheit!) ist nicht mein Ding. Weshalb ich auch Schmidts Autoquartett-Tarot oder seine "essbaren Runen" umso amüsanter finde.

Sieben sprachliche Tricks stellte ich in diesem Beitrag vor: Wie man "irgendwie immer" stimmende Zeitungshoroskope schreibt. Schon damals hatte ich den Eindruck, dass diese 7 Regeln auch bei "seriösen" Prognosen angewendet werden, egal, ob sie die Börsenkurse in der nächsten Woche, die Konjunktur im nächsten Jahr, die demographische Entwicklung der nächsten 20 Jahre oder das Weltklima der nächsten 100 Jahre vorhersagen.

Über die rein sprachlichen Tricks hinaus erinnern mich vor allem Wahlprognosen lebhaft an Astro-TV. Die bei Wahrsagern beliebte Methode, sich selbst erfüllende Prophezeihungen zu machen, ist laut dieser Pressemiteilung der "Piratenpartei" (Wahlumfragen wertlos) auch bei "Emnid" Gang und Gebe.

"Nicht nur die Zahlen sind wichtig, sondern die beabsichtigte Wirkung und der Mechanismus" meint Prof. Dr. Gerd Bosbach, Spezialist für Statistikmissbrauch. Einige der Beispiele aus einem Vortrag, den er an der VHS Köln hielt (Die verschaukelte Bevölkerung) scheinen eher aus dem Umfeld der Jahrmarkts-Wahrsager, Zeitungsastrologen und des Telefon-Tarot zu stammen, als aus dem, was man als naiver Bürger für "seriöse Wissenschaft" halten würde - ginge es nicht um so ernste Thema wie Arbeitslosenzahlen, Gesundheitsausgaben oder die Sicherheit der Renten. Dabei kommt ein auch von TV-Wahrsagern gern benutztes Prinzip zum Tragen, das Voltaire so auf den Punkt brachte:
Je häufiger eine Dummheit wiederholt wird, desto mehr bekommt sie den Anschein von Klugheit.
(Die daraus von Robert A. Heinlein abgeleitete Faustregel lautet: "Was jeder weiß, stimmt garantiert nicht!")
Ein aktuelles Beispiel einer Täuschung mit Statistik, die gelingt, weil "jeder weiß", dass Geld etwa Reales sein soll, hat die Sargnagelschmiede aufgespießt.

Manchmal wird sogar auf Spon deutlich, wie sehr Wirtschaftsprognosen den Ereignissen hinterherhecheln. Oder wie es Euckens Erbe ausdrückt:
Die Schätzung des Wirtschaftswachstums weist genau das selbe Phänomen auf. Ständig muß korrigiert werden, weil die Erwartungen nicht eintreffen. Die Vorhersagen für das Jahr 2009 wechselten um satte sieben Prozent zwischen 1 Prozent Wachstum im vergangenen Sommer und minus sechs im Frühjahr. Mittlerweile wird schon wieder angehoben: Muster ohne Wert und Verlässlichkeit.
Auch wenn er speziell den Spezialdemokraten Peer Steinbrück auf's Korn nimmt - mir fällt bei Prognosen, deren Urheber nach deren Fehlschlagen immer noch geglaubt wird, zuerst Professor Sinn ein, was Steinbrücks selektives Erinnerungsvermögen keineswegs entschuldigt - er hat darin recht, dass etwa für die Schätzung der Staatseinnahmen oder das prognostizierte Wirtschaftswachstums eines gewiss ist: Die genannten Zahlen treffen nicht ein.
Dass den "Öchsperten", wie Chat Atkins sie nennt, dennoch immer wieder geglaubt wird, hat wohl ähnliche Ursachen wie die, aus denen es Astro-TV-Stammanrufer gibt, oder die, aus denen nach einer repräsentativen Allensbach-Umfrage rund 80 % der Bevölkerung in Deutschland über 16 Jahren regelmäßig oder manchmal in Zeitungen und Zeitschriften ihr Horoskop lesen. Wobei ich dieser Allensbach-Umfrage auch nicht über den Weg traue ...

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